Rz. 1095

Im Insolvenzeröffnungsverfahren, also nach Antragstellung auf Insolvenzeröffnung durch den Gemeinschuldner oder einen Gläubiger, bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Wenn das Gericht als Sicherungsmaßnahme dem Gemeinschuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO), verliert der Gemeinschuldner bereits zu diesem Zeitpunkt seine Arbeitgeberstellung an den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22 InsO).[2659] In der Regel ordnet das Gericht aber lediglich an, dass Verfügungen des Gemeinschuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Bei diesem Zustimmungsvorbehalt bestellt das Gericht einen sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter.[2660] Die Arbeitgeberstellung und damit auch die Kündigungsbefugnis verbleiben beim Gemeinschuldner.[2661] Die erforderliche Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters ist bei einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses dieser in urkundlicher Form beizufügen. Andernfalls kann die Kündigung nach § 182 Abs. 3 BGB i.V.m. § 111 S. 2 BGB zurückgewiesen werden.[2662]

[2659] Kündigt der starke vorläufige Insolvenzverwalter aus dringenden betrieblichen Erfordernissen die Arbeitsverhältnisse, sollte das Insolvenzgericht der vorzeitigen, ggf. teilweisen Betriebsstilllegung zugestimmt haben. Zwar ist diese Zustimmung nach § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung von Arbeitsverhältnissen (BAG 27.10.2005 – 6 AZR 5/05, AP Nr. 4 zu § 22 InsO = NZA 2006, 727; a.A. Zwanziger, Einf. Rn 252k). Fehlt die Zustimmung jedoch, kann der starke vorläufige Insolvenzverwalter sich ggf. nach § 60 InsO schadensersatzpflichtig machen.
[2660] In der Praxis werden dem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oftmals aus taktischen Gründen "starke" Pflichten übertragen (sog. halbstarker Insolvenzverwalter), ErfK/Müller-Glöge, Einf. InsO Rn 5. Darf der schwache vorläufige Insolvenzverwalter Dauerschuldverhältnisse wie Arbeitsverhältnisse kündigen, rückt er insoweit in die Arbeitgeberstellung ein (BAG 16.2.2012 – 6 AZR 553/10, NZA 2012, 555).
[2661] BAG 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, AP Nr. 18 zu § 113 InsO = NZA 2006, 1352; BAG 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, AP Nr. 1 zu § 21 InsO = ZIP 2003, 1161; MüKo-InsO/Caspers, vor §§ 113–128 Rn 25; Göpfert/Schöne/Gossak, § 13 Rn 10 ff.
[2662] BAG 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, AP Nr. 1 zu § 21 InsO = ZIP 2003, 1161; dazu Anm. Peters-Lange, EWiR 2004, 709.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge