Rz. 777

Nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG kann der BR wegen nicht- oder nicht ausreichender Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers Widerspruch gegen die beabsichtigte ordentliche betriebsbedingte Kündigung erheben. Dieser Widerspruchsgrund kommt allerdings nicht in Betracht beim Ausspruch personen- oder verhaltensbedingter Kündigungen, und zwar auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber zusätzlich personen- oder verhaltensbedingte Gründe als alternative Kündigungsbegründung heranzieht. Im Übrigen bezieht sich der Widerspruch ausschließlich auf die vom Arbeitgeber getroffene soziale Auswahl des für die Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmers, nicht auf die Betriebsbedingtheit der Kündigung. Diese muss der BR zwar nicht als Begründung akzeptieren, insoweit besteht aber kein Widerspruchsrecht. Rügt der BR daher lediglich, dass es an einem Kündigungsgrund fehle, weil kein Arbeitsplatz entfallen sei, äußert sich aber nicht zur getroffenen Sozialauswahl, ist sein Widerspruch unbeachtlich. Stützt der BR seinen Widerspruch aber auf die seiner Auffassung nach fehlerhafte Sozialauswahl, hat er konkret aufzuzeigen, welcher vom Arbeitgeber bei der sozialen Auswahl nicht berücksichtigte Arbeitnehmer gegenüber dem Betroffenen sozial weniger schutzwürdig ist; der weniger schutzwürdige Arbeitnehmer muss jedenfalls anhand abstrakter Merkmale aus dem Widerspruchsschreiben bestimmbar sein.[1869] Darüber hinaus muss der BR plausibel darlegen, warum ein anderer Arbeitnehmer sozial weniger schutzwürdig sein soll. Hierzu sind zwar nicht die einzelnen Sozialdaten i.S.d. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG aufzuführen, der BR muss aber aufzeigen, welche Gründe aus seiner Sicht zu einer anderen Bewertung der sozialen Schutzwürdigkeit führen.[1870] Sind gleichzeitig mehrere betriebsbedingte Kündigungen beabsichtigt, setzt der wirksame Widerspruch nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG voraus, dass der BR in jedem Einzelfall auf bestimmte oder bestimmbare, seiner Ansicht nach weniger schutzwürdige Arbeitnehmer verweist.[1871] Beabsichtigt der Arbeitgeber mehrere betriebsbedingte Kündigungen, soll der BR aber nach Auffassung des BAG nicht unter Verweis auf ein angebliches Außerachtlassen derselben weniger schutzwürdigen Vergleichspersonen allen/mehreren Kündigungen widersprechen können.

[1871] BAG, 9.7.2003 – 5 AZR 305/02, NZA 2003, 1191, offenbar anderer Auffassung insoweit: KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 196.

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