Rz. 242

Nach § 1602 Abs. 2 muss das minderjährige Kind sein Vermögen als solches, also den Vermögensstamm, anders als die Vermögenserträge, nicht für Unterhaltszwecke verwenden. Dies gilt wenn und soweit der/die Unterhaltspflichtige(n) bei Berücksichtigung seiner/ihrer sonstigen Verpflichtungen den Unterhalt ohne Gefährdung seines/ihres eigenen angemessenen Bedarfs in der Lage ist/sind den geschuldeten Unterhalt zu gewähren.[308]

 

Rz. 243

Solange seine Eltern also leistungsfähig sind, besteht kein Anlass, dass das minderjährige Kind den Stamm seines Vermögens zur unterhaltsrechtlichen Verwertung angreift.[309]

 

Rz. 244

 

Praxistipp

Verfügt das minderjährige Kind über Vermögen, besteht keine gesteigerte (verschärfte) Leistungspflicht der Eltern (§ 1603 Abs. 2 Satz 3) gegenüber dem minderjährigen Kind.

 

Rz. 245

Das minderjährige Kind hat vor Eintritt der verschärften Leistungspflicht der/des Unterhaltspflichtigen sein Vermögen bis auf einen "Notgroschen" einzusetzen, wobei die Herkunft des Vermögens keine Rolle spielt. Auch ererbtes Vermögen ist zu verwerten, wenn und soweit es dem Kind ohne Zweckbindung zugewendet worden ist.[310] Die Höhe des Notgroschens bestimmt sich nach dem Grundfreibetrag des § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II, der sich für minderjährige Kinder auf einen Betrag von 3.100 EUR beläuft.

 

Rz. 246

§ 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II, wonach dem Hilfebedürftigen i.S.d. SGB II ein – weiterer – Freibetrag in Höhe von 750 EUR für notwendige Anschaffungen verbleiben darf, kann im Rahmen des Unterhaltsanspruchs des vermögenden minderjährigen Kindes keine Anwendung finden, da der zu gewährende Unterhalt grundsätzlich pauschal den gesamten Lebensbedarf des minderjährigen Kindes erfasst. Notwendige Anschaffungen stellen gegebenenfalls, wenn die Voraussetzungen vorliegen, Sonderbedarf dar, der ebenfalls vom Unterhaltsanspruch gedeckt ist.

 

Rz. 247

 

Praxistipp

Das minderjährige Kind hat grundsätzlich den, einen Betrag in Höhe von 3.100 EUR übersteigenden, Vermögensstamm für Unterhaltszwecke zu verwenden, bevor die gesteigerte Leistungspflicht des/der Unterhaltspflichtigen eingreift.

 

Rz. 248

Hinsichtlich des Erfordernisses der Verwertung des Vermögensstammes durch das minderjährige Kind ist zu beachten, dass sich eine allgemeine Billigkeitsgrenze, wie sie § 1577 Abs. 3 für den Bedarf beim nachehelichen Ehegattenunterhalt normiert, für den Verwandtenunterhalt nur im Verhältnis zum minderjährigen Kind sich in § 1602 Abs. 2 findet. Daher scheidet eine analoge/entsprechende Anwendung des Rechtsgedankens des § 1577 Abs. 3 auf das Vermögen des minderjährigen Kindes aus, sodass eine Billigkeitsgrenze für die Verwertung des Vermögens des minderjährigen Kindes gerade nicht zu beachten ist.

 

Rz. 249

Allerdings sind bei der Frage der Verwertung des Vermögens des minderjährigen Kindes sehr wohl Billigkeitserwägungen im Sinne einer Unzumutbarkeit der Verwertung anzustellen.[311] Im Rahmen der Beurteilung der Unzumutbarkeit bzw. Zumutbarkeit der Verwertung des Vermögens des minderjährigen Kindes sind umfassend alle bedeutsamen Umstände, insbesondere aber auch die – nicht zuletzt wirtschaftliche – Situation des Unterhaltspflichtigen zu bewerten. So können auch Unterhaltsansprüche der Großeltern gegen den unterhaltspflichtigen Vater des minderjährigen Kindes in die Abwägung eingestellt werden.[312]

 

Rz. 250

Darüber hinaus muss sich die Verwertung des Vermögens wirtschaftlich darstellen. Von einer Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung ist z.B. auszugehen, wenn das minderjährige Kind aus dem Vermögen Einkünfte bezieht auf deren Zufluss es im konkreten Zeitpunkt als auch in Zukunft angewiesen ist und die bei Verwertung des Vermögens wegfallen würden.[313]

 

Rz. 251

Grundsätzlich erfordert die Frage der Verwertung des, einen Freibetrag von 3.100 EUR übersteigenden Vermögens des minderjährigen Kindes eine umfassende Abwägung im Hinblick auf Zumutbarkeit und Wirtschaftlichkeit. Sofern man im Ergebnis nach Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalls dazu kommt, dass das minderjährige Kind sein Vermögen einsetzen muss, sind die für den eigenen Unterhalt einzusetzenden Mittel, also der 3.100 EUR übersteigende Betrag, auf den voraussichtlichen Leistungszeitraum umzulegen[314] und damit schrittweise zu verwerten.

[308] BGH FamRZ 1985, 360; Dose/Klinkhammer, § 2 Rn 132.
[309] Dose/Dose, § 1 Rn 621.
[310] BGH FamRZ 1998, 367; OLG München FamRZ 1996, 1433.
[311] Dose/Klinkhammer, § 2 Rn 133.
[312] BGH FamRZ 1998, 369.
[313] Dose/Klinkhammer, § 2 Rn 135.
[314] BGH FamRZ 1998, 367; OLG Köln NJW-FER 1999, 176.

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