Rz. 25

Das Arbeitsrecht erfordert aufgrund dieser Vielgestaltigkeit umfassende Kenntnisse der einschlägigen Normen und Rechtsprechung. Rechtsprüfung und Rechtsberatung setzen zwingend die Kenntnis der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Rechtsnormen voraus, zu denen auch die auf der Grundlage von Bundesgesetzen erlassenen Rechtsverordnungen oder im deutschen Recht umgesetzte Vorgaben etwa aus dem Europarecht sowie die Vorschriften einschlägiger Tarif- bzw. Manteltarifverträge oder ergänzender Betriebsvereinbarungen und bloßer betrieblicher Übungen gehören.[12]

 

Rz. 26

Notfalls muss sich der anwaltliche Berater die erforderlichen Rechtskenntnisse verschaffen, soweit sie nicht zu seinem präsenten Wissen gehören, und sich auch in eine Spezialmaterie einarbeiten. Der Anwalt ist demnach verpflichtet, auch entlegene Rechtsmaterien in die Rechtsberatung einfließen zu lassen. Der arbeitsrechtlich tätige Anwalt muss sich daher nach Ansicht des BGH unter Umständen auch beim gegnerischen Arbeitgeber vergewissern, dass Manteltarifverträge nicht auf das nämliche Mandat "ausstrahlen", und zwar selbst dann, wenn seinem Mandanten eine darauf beruhende Betriebsvereinbarung oder betriebliche Übung unbekannt geblieben ist.[13]

 

Rz. 27

Trotz der immer wieder geäußerten Kritik an einem damit einhergehenden Erfordernis der lückenlosen Kenntnis von Gesetzen, Rechtsprechung, Schrifttum und gar von Parteigepflogenheiten, haben auch die Rechtsprüfung und Rechtsberatung ihre Grenzen. In ständiger Rechtsprechung fordert der BGH von der Anwaltschaft nur mandatsbezogene Rechtskenntnisse zum Zeitpunkt der Beratung ein und räumt ihr bei gesetzlichen und judikativen Neuerungen einen realistischen Toleranzzeitraum ein,[14] innerhalb dessen neue oder geänderte Rechtsvorschriften oder Gerichtsentscheidungen zur Kenntnis genommen werden müssen. Das Erfordernis der mandatsbezogenen Rechtskenntnisse kann entlastend sein, da der Rechtsanwalt sich danach nur diejenigen Kenntnisse verschaffen muss, die Ziel und Gegenstand des Mandats betreffen und deshalb zur fehlerfreien Auftragserledigung nötig sind.

 

Rz. 28

 

Praxistipp

Es ist Anwälten zu empfehlen, dass sie sich über die einschlägigen rechtlichen Rahmenbedingungen in jedem einzelnen arbeitsrechtlichen Mandat versichern, indem sie sich vom Mandanten, von Mitarbeitervertretungen im Betrieb bzw. dem Arbeitgeber selbst oder auch – entgeltlich – von den meist gewerkschaftsnahen Tarifvertragsarchiven und -registern sämtliche Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen im Volltext bzw. die Informationen über betriebliche Übungen verschaffen.

[12] BGH, Urt. v. 29.3.1983 – VI ZR 172/81 – Rn 13, jurion = NJW 1983, 1665 = MDR 1983, 1011.
[13] BGH, Urt. v. 22.9.2005 – IX ZR 23/04 = NJW 2006, 501, 502 = AnwBl 2006, 68; Urt. v. 29.3.1983 – VI ZR 172/81 – Rn 14 ff., jurion = NJW 1983, 1665 = MDR 1983, 1011.
[14] Dazu das OLG München, Urt. v. 23.12.2015 – 15 U 4569/14 – Rae (Ls.), Rn 21, juris = NZG 2017, 507: Der Anwalt "hätte diese auch für die amtliche Sammlung vorgesehene und als solche in der NJW kenntlich gemachte Entscheidung innerhalb von ca. sechs Wochen zur Kenntnis nehmen müssen (BGH NJW 1979, 87; OLG Düsseldorf VersR 1980, 359)".

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