Rz. 49

Noch nicht abschließend geklärt ist, ob sich aus dieser Rspr. zur analogen Anwendung der Vorversterbensfiktion[73] auf die Enterbung des näher Pflichtteilsberechtigten für eine gängige Testamentsgestaltung unliebsame, bisher nicht bedachte Folgen ergeben. Dies betrifft folgende häufige Gestaltung: Bei der Errichtung eines Berliner Testaments von Ehegatten (§ 2269 BGB) entstehen durch die gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute für den Fall des Todes des Erstversterbenden für ihre Abkömmlinge Pflichtteilsansprüche. Dies versucht man u.a. dadurch zu vermeiden, dass die Kinder für den Fall des Todes des Erstversterbenden ihrer Eltern einen Pflichtteilsverzicht abgeben. Dieser wirkt wegen der Erstreckungswirkung des § 2349 BGB auch gegen die Abkömmlinge der verzichtenden Kinder, was regelmäßig auch so gewollt ist. Probleme entstehen aber dann, wenn der zuerst verstorbene Ehegatte daneben auch noch einen Elternteil hinterlässt. Auf der Grundlage der überwiegenden Auffassung (siehe Rdn 46) entsteht durch die Enterbung aller Abkömmlinge dann ein Pflichtteilsanspruch der Eltern gem. § 2303 Abs. 1 BGB. Dieser wird auch nicht durch § 2309 BGB ausgeschlossen, da wegen des Pflichtteilsverzichts der Kinder mit Wirkung auch gegen ihre Abkömmlinge (§ 2349 BGB) auch alle Pflichtteilsansprüche der Abkömmlinge ausgeschlossen sind. Massive Probleme entstehen dann, wenn sich ein Elternteil in einem Pflegeheim befindet und Sozialleistungen erhält (zu dieser Problematik auch nachstehend, siehe Rdn 52). Denn der Sozialhilfeträger könnte dann zur Deckung der Heimkosten und zur Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe den Pflichtteilsanspruch nach § 93 SGB XII überleiten. Ob man hier durch eine einschränkende Auslegung des Pflichtteilsverzichts helfen kann,[74] ist – soweit ersichtlich – noch nicht richterlich entschieden worden. Zur Vermeidung dieses Problems wird empfohlen, den Pflichtteilsverzicht der Abkömmlinge unter der Bedingung zu erklären, dass er nur gelten soll, falls beim Tod des Längerlebenden keine Elternpflichtteile bestehen oder geltend gemacht werden.[75] Aber dann gelangt man in einem solchen Fall wieder zum Pflichtteilsanspruch der Abkömmlinge, der eigentlich vermieden werden sollte.

[73] Gegen die analoge Anwendung und für die direkte Anwendung der Vorversterbensfiktion jetzt Staudinger/Otte, § 2309 Rn 25 unter ausdrücklicher Aufgabe seiner gegenteiligen Auffassung in Staudinger/Otte (Bearb. 2008), § 1938 Rn 10.
[74] Vgl. dazu etwa Palandt/Weidlich, § 2309 Rn 3; Damrau/Tanck/Riedel, § 2309 Rn 8; Lange, ZEV 2015, 69, 75; Muscheler, Erbrecht, 2010, Bd. II, Rn 4104: § 2309 BGB greife nicht ein, weil dies der Wertung des § 2349 BGB widerspreche, eine pflichtteilsfreie vorweggenommene Erbfolge zu ermöglichen und die Testierfreiheit des Erblassers zu stärken.
[75] So etwa Keim, DAI-Skript 9. Notarrechtliche Jahrestagung, 2011, S. 148.

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