Rz. 321

Sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist, ist die Gesellschaft (als Schuldnerin) nach § 728 Abs. 1 S. 1 BGB verpflichtet, den ausgeschiedenen Gesellschafter

von der Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu befreien (1. Alt. – Befreiungsanspruch als Anspruch auf Befreiung von der persönlichen Haftung für fällige Gesellschaftsverbindlichkeiten nach § 721 BGB) und ihm
eine dem Wert seines Anteils angemessene Abfindung zu zahlen (2. Alt. – Abfindungsanspruch).
 

Rz. 322

Der Abfindungsanspruch muss im Interesse eines Schutzes des ausgeschiedenen Gesellschafters "angemessen" sein, d.h. ein vollwertiges Äquivalent für den durch das Ausscheiden aus der GbR bedingten Verlust der Mitgliedschaft.[582] Dies bemisst sich (in Abweichung zu § 738 Abs. 2 BGB alt)[583] nach dem "wahren" (bzw. "wirklichen") Wert des Gesellschaftsanteils,[584] "der sich im Regelfall indirekt aus dem Unternehmenswert ableitet".[585] Infolgedessen ist i.d.R. zunächst der Wert des Gesellschaftsvermögens in toto und alsdann der Wert des Anteils des ausgeschiedenen Gesellschafters "anhand seiner Beteiligung im Verhältnis zu derjenigen der verbleibenden Gesellschafter [zu ermitteln]"[586] – quotaler Anteil des Unternehmerwerts.[587] Bestimmte Bewertungsmethoden werden nicht vorgegeben (Prinzip der Methodenoffenheit – Freiraum der Gesellschafter).[588]

 

Rz. 323

Für den Abfindungsanspruch nach § 728 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB haften gemäß § 721 BGB auch die übrigen Gesellschafter unbeschränkt persönlich.[589]

Sind Verbindlichkeiten der Gesellschaft noch nicht fällig, kann die Gesellschaft gemäß § 728 Abs. 1 S. 2 BGB dem Ausgeschiedenen Sicherheit leisten, statt ihn von der Haftung nach § 721 BGB zu befreien (Sicherheitsleistung).

 

Beachte:

Ein Rückgabeanspruch der vom ausgeschiedenen Gesellschafter der Gesellschaft zur Nutzung überlassenen Gegenstände (vgl. § 738 Abs. 1 BGB alt) wird nicht mehr ausdrücklich geregelt, "weil sich dies [d.h. die entsprechende Verpflichtung] nach der zugrundeliegenden Vereinbarung [die der Überlassung der Gegenstände zugrunde liegt] von selbst versteht",[590] ebenso wenig wie die vormalige Klarstellung in § 732 S. 2 BGB alt (wonach mangels Verschuldens beim Untergang oder bei einer Verschlechterung des überlassenen Gegenstands ein Schadensersatzanspruch ausscheidet).

 

Rz. 324

Der Abfindungs- wie auch der Befreiungsanspruch entstehen im Zeitpunkt des Ausscheidens des Gesellschafters (arg.: Wortlaut "den ausgeschiedenen Gesellschafter").[591]

 

Rz. 325

Die Ansprüche sind – wie bisher auch[592] – grundsätzlich dispositiver Natur. Entsprechende gesellschaftsvertragliche Abfindungsvereinbarungen oder -klauseln (bspw. über die Modalitäten oder die Höhe des Abfindungsanspruchs) sind bis zur Grenze des § 138 BGB[593] möglich (Wirksamkeitskontrolle), ein Abfindungsausschluss soll hingegen nur im Ausnahmefall zulässig sein.[594]

Der Gesetzgeber hat damit nicht den vom 71. DJT empfohlenen Vorrang einer Ausübungs- vor einer Wirksamkeitskontrolle entsprochen.[595]

 

Beachte:

Der BGH[596] legt bei der Wirksamkeitskontrolle von Abfindungsklauseln (Verstoß gegen § 138 BGB im Zeitpunkt des Vertragsschlusses) ein zweistufiges Prüfprogramm zugrunde: Damit ist Sittenwidrigkeit dann anzunehmen, wenn der Abfindungsbetrag vollkommen außer Verhältnis zur Beschränkung steht, die erforderlich ist, um im Interesse der verbleibenden Gesellschafter den Fortbestand und die Fortführung des Unternehmens zu sichern.

[582] RegE, BT-Drucks 19/27635, S. 176.
[583] Aber in Übereinstimmung mit der bisherigen Judikatur, vgl. etwa BGH, Urt. v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101.
[584] Dazu Schäfer/Bergmann, § 7 Rn 63.
[585] RegE, BT-Drucks 19/27635, S. 176.
[586] Schäfer/Bergmann, § 7 Rn 64.
[587] Schäfer/Schäfer, § 6 Rn 25 unter Bezugnahme auch Bachmann, ZGR-Sonderheft 23 (2020), 221, 245 f.
[588] Schäfer/Bergmann, § 7 Rn 60.
[589] RegE, BT-Drucks 19/27635, S. 175 unter Bezugnahme auf MüKo-BGB/Schäfer, § 738 Rn 17. Ebenso schon BGH, Urt. v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, NZG 2016, 1025 Rn 9; BGH, Urt. v. 17.5.2011 – II ZR 285/09, NZG 2011, 858 Rn 11 f.
[590] RegE, BT-Drucks 19/27635, S. 175.
[591] RegE, BT-Drucks 19/27635, S. 175.
[593] Eine Grenze sei einheitlich bei etwa 50 % des Verkehrswerts anzusetzen: Schäfer/Schäfer, § 6 Rn 27.
[594] Schäfer/Bergmann, § 7 Rn 65.
[595] Verhandlungen des 71. DJT, Bd. II/2, 2017, S. O220.
[596] BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, juris Rn 39 = NJW 1992, 892; BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, ZIP 2011, 2357, juris Rn 12 ff. – beide Entscheidungen jedoch zur GmbH.

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