Rz. 143

Der EuGH hält zum einen fest, dass es sich beim Erwerb von Todes wegen durchaus um Kapitalverkehr im Sinne von Art. 73b EG handelt; ausgenommen sind lediglich die Fälle, die mit keinem ihrer wesentlichen Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen.

 

Rz. 144

Dagegen stellt eine nationale Regelung, nach der der Übergang eines Nachlasses eines Angehörigen eines Mitgliedstaats, der innerhalb von zehn Jahren nach Verlegung seines Wohnsitzes ins Ausland verstorben ist, so besteuert wird, als wäre dieser Staatsangehörige im selben Mitgliedstaat wohnen geblieben, wenn auch unter Befreiung in Höhe der Erbschaftsteuer, die in dem Staat erhoben wird, in den der Verstorbene seinen Wohnsitz verlegt hatte, keine Beschränkung des Kapitalverkehrs dar.

 

Rz. 145

Dadurch, dass diese Regelung die gleiche Besteuerung des Erwerbs von Todes wegen für Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt haben, und für solche, die im betreffenden Mitgliedstaat geblieben sind, vorsieht, hält sie nämlich weder die Erstgenannten davon ab, von einem anderen Mitgliedstaat aus Investitionen in dem betreffenden Mitgliedstaat zu tätigen, noch die Letztgenannten davon, von dem betreffenden Mitgliedstaat aus Investitionen in einem anderen Mitgliedstaat zu tätigen; unabhängig davon, wo sich die fraglichen Vermögensgegenstände befinden, mindert sie auch nicht den Wert des Nachlasses eines Staatsangehörigen, der seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt hat. Dass diese Regelung weder die Staatsangehörigen erfasst, die seit mehr als zehn Jahren im Ausland leben, noch diejenigen, die niemals ihren Wohnsitz in dem betreffenden Mitgliedstaat hatten, ist insoweit nicht von Bedeutung. Da sie nur für die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats gilt, kann sie keine Beschränkung des Kapitalverkehrs in Bezug auf die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten darstellen.

 

Rz. 146

Was die Ungleichbehandlung von Gebietsansässigen mit der Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats und solchen mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats angeht, die sich aus einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen ergibt, können derartige, zum Zwecke der Aufteilung der Steuerhoheit getroffenen Unterscheidungen nicht als eine durch Art. 73b EG verbotene unterschiedliche Behandlung angesehen werden. Sie ergeben sich nämlich in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen aus der Befugnis der Mitgliedstaaten, die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen.

 

Rz. 147

Außerdem hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass es für die Mitgliedstaaten nicht sachfremd ist, sich zum Zwecke der Aufteilung der Steuerhoheit an der internationalen Praxis und den von der OECD erarbeiteten Musterabkommen zu orientieren. Wie die niederländische Regierung ausgeführt hat, entspricht die im Ausgangsverfahren streitige Regelung dem Bericht zum Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Nachlässe, Erbschaften und Schenkungen (Bericht des Fiskalausschusses der OECD 1982). Aus dem Bericht geht hervor, dass eine derartige Regelung durch die Sorge gerechtfertigt ist, eine Form der Steuerflucht zu vermeiden, die darin besteht, dass ein Angehöriger eines Staates im Hinblick auf seinen Tod seinen Wohnsitz in einen anderen Staat verlegt, in dem die Steuer niedriger ist.

 

Rz. 148

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die bloße Verlegung des Wohnsitzes von einem Staat in den anderen nicht unter Art. 73b EG fällt. Wie nämlich der Generalanwalt ausgeführt hat, umfasst eine solche Verlegung des Wohnsitzes für sich genommen keine finanziellen Transaktionen oder die Übertragung von Eigentum und weist auch keine anderen Merkmale einer Bewegung von Kapital auf.

 

Rz. 149

Folglich kann eine nationale Regelung, deren Wirkung darin bestünde, einen Staatsangehörigen von der Verlegung seines Wohnsitzes in einen anderen Staat abzuhalten und somit sein Freizügigkeitsrecht zu beeinträchtigen, nicht schon aus diesem Grund eine Beschränkung des Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 73b EG sein.

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