Rz. 69

Ausdruck des Nachrangprinzips kann auch sein, dass ein Leistungsanspruch nicht nur durch Mittel gehindert oder ganz oder teilweise vernichtet werden kann, die dem Bedürftigen persönlich zufließen oder die er selbst hat, sondern dies kann auch durch Mittel geschehen, über die ein Dritter – zumeist der nicht getrenntlebende Ehegatte oder Lebenspartner – verfügt oder die diesem aus Erbfall oder Schenkung zufließen.

 

Rz. 70

 

Fallbeispiel 13: Der erbende Ehegatte

M und F sind seit langem verheiratet und haben bisher in einer Eigentumswohnung (95 qm) gelebt, die M von seinem Vater geerbt hat. Als seine Mutter stirbt, erbt M eine weitere Immobilie und erhebliches Barvermögen.

Variante 1: M und F sind seit Jahren Bezieher von Leistungen nach dem SGB II.
Variante 2: M und F sind seit Jahren Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII.
Variante 3: Die Ehegatten trennen sich, als M nach seiner Mutter erbt.
Variante 4: Bisher lag kein Leistungsbezug vor. F wird heimpflegebedürftig.
Variante 5: Bisher lag kein Leistungsbezug vor. F benötigt wegen der Folgen ihrer Alkoholsucht Eingliederungshilfe in einer sog. besonderen Wohnform (dieser Begriff hat zum 1.1.2020 den Begriff der stationären Einrichtung ersetzt).
 

Rz. 71

§ 92 Abs. 1a SGB VIII, § 28 BAföG und alle Normen, die lediglich auf die entsprechende Anwendung des § 90 SGB XII verweisen, kennen keine Berücksichtigung von Drittmitteln. Die Existenzsicherungsregeln des SGB II und des SGB XII, die in der Praxis am häufigsten vorkommen, kennen diese schon. Auch insoweit gibt es aber keine einheitlichen Nachrangregeln, durch die die Heranziehung der Mittel Dritter geregelt wäre.

 

Rz. 72

Wenn Bedürftige mit Ehegatten oder Lebenspartnern in häuslicher Lebensgemeinschaft zusammenleben, wird bei der Bedürftigkeitsprüfung nicht darauf abgestellt, ob ein familienrechtlicher Unterhaltsanspruch besteht, wem von beiden das Eigentum an einer Sache zugewiesen ist oder welcher Güterstand vereinbart wurde.[52] Es wird im SGB XII auf die sog. Einsatz- oder Einstandsgemeinschaft abgestellt. Ggf. wird auch die Vermutung herangezogen, dass die nachfragende Person mit Personen, mit denen sie in einer Wohnung oder einer entsprechenden Unterkunft zusammenlebt, gemeinsam wirtschaftet (Haushaltsgemeinschaft) und die nachfragende Person von diesen Personen Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

 

Rz. 73

§ 20 SGB XII verbietet außerdem, dass Personen in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft hinsichtlich der Voraussetzungen und des Umfangs der Sozialleistungen besser behandelt werden als Ehegatten. Für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Viertes Kapitel des SGB XII) bestimmt § 43 Abs. 1 SGB XII deshalb ausdrücklich, dass auf Einkommen und Vermögen des Partners einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft zusätzlich abzustellen ist.

 

Rz. 74

Das SGB XII geht damit weit über die zivilrechtlichen Unterhaltspflichten hinaus:

Für die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel (§§ 2740 SGB XII) bestimmt § 19 Abs. 1 i.V.m. § 27 Abs. 2 S. 2 SGB XII, dass bei nicht getrenntlebenden Ehegatten und Lebenspartnern das Einkommen und das Vermögen beider Ehegatten/Lebenspartner gemeinsam zu berücksichtigen ist.
Für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel (§§ 4143 SGB XII) sind nach § 19 Abs. 2 i.V.m. § 43 Abs. 1 SGB XII das Einkommen und Vermögen des nicht getrenntlebenden Ehegatten, Lebenspartners oder Partners einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt nach § 27a SGB XII übersteigen, nach Maßgabe des § 43 SGB XII zu berücksichtigen.
Für die Hilfen in speziellen Lebenslagen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel (§§ 4774 SGB XII) bestimmt § 19 Abs. 3 SGB XII, dass sie geleistet werden, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrenntlebenden Ehegatten und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels (§§ 82 ff. SGB XII) nicht zuzumuten ist.
 

Rz. 75

Im SGB II werden die Mittel Dritter nach anderen Regeln herangezogen. Dort gelten auch die an sich für sich selbst Leistungsfähigen als bedürftig, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft bedürftig ist.[53] Die Rechtsfolgen der Bedarfsgemeinschaft treffen nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II jede Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Es handelt sich um Partner,

die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person
in einem gemeinsamen Haushalt
so zusammenleben,
dass nach verständiger Würdigung
der wechselseitige Wille anzunehmen ist,
Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
 

Rz. 76

Das knüpft an die Rechtsprechung des BVerfG an. Danach müssen für die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft die Bindungen der Partner so eng sein, dass vo...

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