Rz. 380

 

Rz. 381

BGH[360]

Hat die Nichteinhaltung des gebotenen Sicherheitsabstands den Unfall mitverursacht, ist der Verstoß gegen § 4 Abs. 1 StVO im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile grundsätzlich gegenüber jedem Mitverursacher zu berücksichtigen. Wer im Straßenverkehr auf den Vorausfahrenden auffährt, war in der Regel unaufmerksam oder zu dicht hinter ihm. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins. Dieser wird nach allgemeinen Grundsätzen nur dadurch erschüttert, dass ein atypischer Verlauf, der die Verschuldensfrage in einem anderen Lichte erscheinen lässt, von dem Auffahrenden dargelegt und bewiesen wird. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn der Nachweis erbracht wird, dass ein Fahrzeug vorausgefahren ist, welches nach seiner Beschaffenheit geeignet war, die Sicht auf das Hindernis zu versperren, dieses Fahrzeug erst unmittelbar vor dem Hindernis die Fahrspur gewechselt hat und ein Ausweichen nicht mehr möglich war.

 

Rz. 382

OLG Celle[361]

Steht ein Fahrzeug am Straßenrand, dessen Warnblinkanlage eingeschaltet ist, muss ein sich annähernder Fahrzeugführer besonders aufmerksam sein. Er muss auch bei Dunkelheit vor einem unbeleuchteten Fahrzeug rechtzeitig anhalten können. Hatte sich der Kläger dem Kollisionsbereich mit rund 90 km/h genähert, obwohl nur 70 km/h zugelassen waren, und hätte er das von einem vorausgehenden Unfall teilweise außerhalb der Straße stehende ­Fahrzeug erkennen können, haftet er zu 70 %. Er hätte bei Dunkelheit nur so schnell fahren dürfen, dass er innerhalb der für ihn überschaubaren Strecke hätte anhalten können.

 

Rz. 383

KG[362]

Ist die Klägerin zunächst selbst aufgefahren, haftet der nachfolgende Auffahrende aufgrund des Anscheinsbeweises nur für den Heckschaden der Klägerin zu 75 %. Wegen der erhöhten Betriebsgefahr aus der Bremswegverkürzung hat die Klägerin selbst 25 % des Heckschadens zu tragen.

 

Rz. 384

OLG Hamm[363]

Das Haftungsmerkmal "bei Betrieb" im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG ist bei einem sogenannten Kettenauffahrunfall regelmäßig – so auch hier – zu bejahen. Der Fahrer des ersten Fahrzeugs bei einem sogenannten Kettenauffahrunfall, auf das aufgefahren wird, muss die Unabwendbarkeit im Sinne des § 17 Abs. 3 S. 1 StVG beweisen. Dem kann – hier offengelassen – eine irrtümliche Betätigung des falschen Fahrtrichtungsanzeigers entgegenstehen. Ein Anscheinsbeweis zulasten des letzten Auffahrenden bei einem sogenannten Kettenauffahrunfall kommt nicht in Betracht, wenn das vorausfahrende Fahrzeug durch seinen Aufprall auf das erste Fahrzeug den zur Verfügung stehenden Bremsweg für den letzten Auffahrenden verkürzt hat. Im innerstädtischen Kolonnenverkehr immanent ist das Risiko einer Bremswegverkürzung infolge einer Unaufmerksamkeit des plötzlich vollbremsenden und/oder mit dem Vordermann kollidierenden Vorausfahrenden immer gegeben, was im Einzelfall – so hier – im Rahmen der Abwägung gem. § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG als Betriebsgefahr erhöhend wirken kann. Das Haftungsmerkmal "bei Betrieb" ist nach der Rechtsprechung des BGH entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen (BGH NJW 2016, 1162). Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat, und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Die Fahrzeugführerin des letzten auffahrenden Fahrzeugs kann keine Ansprüche gegen den Fahrzeugführer des ersten Fahrzeugs stellen. Sie hätte auf das abrupte Abbremsen des vor ihr fahrenden Fahrzeugs reagieren müssen.

 

Rz. 385

OLG Hamm[364]

Bei einem Kettenauffahrunfall kommt ein Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Verursachung des Heckaufpralls durch den letzten in der Kette Auffahrenden nur in Betracht, wenn feststeht, dass das ihm vorausfahrende Kfz rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen ist und nicht durch einen Aufprall auf den Vordermann den Bremsweg des ihm folgenden Kfz verkürzt hat. Führt ein Kettenauffahrunfall zum wirtschaftlichen Totalschaden und ist nicht feststellbar, ob der Frontschaden durch das Auffahren des nachfolgenden Kfz verursacht wurde, kann der gegen den Auffahrenden begründete Schaden betreffend den Heckanstoß durch die quotenmäßige Aufteilung des Gesamtschadens, gemessen am Verhältnis der Reparaturkosten, ermittelt werden. Dies gilt, wenn nicht die Verursachung auch des Frontschadens durch den Auffahrenden weniger wahrscheinlich ist als die Entstehung des Frontschadens unabhängig vom Heckaufprall.

 

Rz. 386

OLG Koblenz[365]

Konnte ein Radfahrer mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von ca. 14 km/h problemlos vor einem Fußgänger anhalten, der bereits fast die gesamte Fahrbahn überquert hatte, ist der gleichwohl auffahrende zweite Radfahrer für den Unfall weit überwiegend selbst verantwortlich, wenn er ebenfalls rechtzeitig bremsen oder problemlos an dem rechts stehenden Fahrrad links vorbeifahren konnte. Der Fußgänger haftet nicht.

 

Rz. 387

OLG Frankfurt a.M.[366]

Fahren mehrere Fahrzeuge aufeinander auf, so spricht der Anscheinsbeweis dafür, da...

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