Antje Dudenbostel, Saskia M. Schmid
Rz. 495
Tritt das aufnehmende Unternehmen als Tarifvertragspartei in den Haustarifvertrag ein, stellt sich die Frage, welche Arbeitsverhältnisse von ihm erfasst sind und wie mit dem Nebeneinander mehrerer normativ geltender Tarifverträge umzugehen ist, wenn der aufnehmende Rechtsträger bereits zuvor normativ an einen anderen Tarifvertrag gebunden war.
Rz. 496
Welche Arbeitsverhältnisse beim aufnehmenden Rechtsträger (dem der Firmentarifvertrag zugeordnet ist) von der Wirkung des Tarifvertrags erfasst werden, bestimmt der Geltungsbereich des Tarifvertrags.
Rz. 497
Üblicherweise findet sich in Haustarifverträgen die Formulierung, dass der Tarifvertrag für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Unternehmens gilt, die Mitglied der tarifvertragschließenden Gewerkschaft sind.
Rz. 498
In diesem Fall erfasst die unmittelbare und zwingende Wirkung des Firmentarifvertrags nach neuerer Rechtsprechung des BAG auch solche Beschäftigte, die bereits vor der Verschmelzung in einem Arbeitsverhältnis zum aufnehmenden Rechtsträger standen und solche Beschäftigte, die erst nach der Verschmelzung ein Arbeitsverhältnis mit dem aufnehmenden Rechtsträger begründen. Wie das BAG in der sehr ausführlich begründeten Entscheidung zu Recht feststellt, gilt der Firmentarifvertrag beim aufnehmenden Rechtsträger in dem durch seinen Inhalt bestimmten Umfang. Das bedeutet, dass im Geltungsbereich allein der Name des Unternehmens durch den des neuen Rechtsträgers zu ersetzen ist und dass ohne eine ausdrückliche einschränkende Formulierung im Geltungsbereich nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Geltung auf Beschäftigte des übertragenden Rechtsträgers beschränkt sein soll.
Rz. 499
Dieser Grundsatz dürfte für die Spaltung zur Aufnahme gleichermaßen gelten.
Rz. 500
Die normative Wirkung für alle (ehemaligen, aktuellen und zukünftigen) Beschäftigten des neuen Rechtsträgers ist unproblematisch bei einer Verschmelzung im Wege der Neugründung oder wenn der aufnehmende Rechtsträger noch keine eigenen Beschäftigten hat bzw. in den Fällen, in denen der aufnehmende Rechtsträger bis zu diesem Zeitpunkt selbst nicht tarifgebunden war. Dann gilt ausschließlich der Firmentarifvertrag, an den er aufgrund seines Eintretens in die Position der Tarifvertragspartei dieses Firmentarifvertrags im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gebunden ist.
Rz. 501
Ist jedoch der aufnehmende Rechtsträger bereits selbst an einen anderen Tarifvertrag gebunden, kann es infolge der Unternehmensumwandlung zu einem Nebeneinander verschiedener Tarifverträge kommen.
Rz. 502
Im Falle der Tarifkollision, also bei Bindung des Arbeitgebers an nicht inhaltsgleiche Tarifverträge mehrerer Gewerkschaften, deren Geltungsbereiche (nicht notwendig Regelungsgegenstände) sich überschneiden, greift nun – zumindest für nach dem 10.7.2015 abgeschlossene Tarifverträge (§ 13 Abs. 3 TVG) – § 4a TVG: Im Betrieb sind nur die Rechtsnomen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags unter den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Betriebs mehr Mitglieder hat.
Rz. 503
In allen anderen Fällen gelten die von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Lösungsansätze. Das heißt insbesondere, dass Tarifkonkurrenzen, also die Anwendbarkeit mehrerer sich inhaltlich überschneidender Tarifverträge derselben Gewerkschaft bei beiderseitiger Tarifgebundenheit, aufzulösen sind. Dies geschieht nach der h.M. in der Regel nach dem Grundsatz der Sachnähe bzw. Spezialität: der speziellere Tarifvertrag hat Vorrang gegenüber dem allgemeineren. Nach dem BAG stellt beispielsweise ein Haustarifvertrag gegenüber einem Verbandstarifvertrag in der Regel die speziellere Regelung dar.
Rz. 504
Beispiel
Ist der aufnehmende Rechtsträger kraft Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an einen Verbandstarifvertrag gebunden und wird er infolge einer umwandlungsrechtlichen Verschmelzung Tarifvertragspartei eines mit derselben Gewerkschaft abgeschlossenen Firmentarifvertrags, dessen Regelungsbereich sich mit dem des Verbandstarifvertrags überschneidet, dürfte der Firmentarifvertrag den Verbandstarifvertrag verdrängen, und zwar in der Regel auch für die gewerkschaftsangehörigen bisherigen Beschäftigten des aufnehmenden Rechtsträgers.