Rz. 212

Umstrukturierungen erschöpfen sich häufig nicht in einem Einzelakt (reine Spaltung oder ausschließlich Zusammenfassung), sondern es folgen verschiedene Einzelmaßnahmen aufeinander, die in ihrer Gesamtheit die Umstrukturierungsmaßnahme ausmachen (z.B. Abspaltung eines Betriebsteils und Eingliederung in einen anderen ­Betrieb). Dennoch – und gerade weil es eine schier unendliche Anzahl an "Kombinationsmöglichkeiten" gibt – erscheint es (wie auch für die Frage des Schicksals des Betriebsratsmandats[242]) sinnvoll, sich der Frage der Auswirkung einer Umstrukturierung dergestalt zu nähern, dass zunächst die Auswirkungen eines jeden Einzelakts betrachtet werden.

 

Rz. 213

Dem entspricht die folgende Darstellung. Als "Grundformen" der Umstrukturierung im Kontext der Auswirkungen auf die im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen bzw. Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen sind dabei die unternehmensinternen Umstrukturierungen und solche mit Betriebsinhaberwechsel zu unterscheiden. Im Anschluss werden mit dem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen und den durch Vereinbarung nach § 3 BetrVG geschaffenen betrieblichen Einheiten zwei Sonderkonstellationen behandelt.

[242] Siehe Rdn 20.

a) Schicksal von Betriebsvereinbarungen bei unternehmensinternen Umstrukturierungen

aa) Arten der Umstrukturierung

(1) Änderungen ausschließlich auf Unternehmensebene

 

Rz. 214

Änderungen, die sich allein auf Unternehmensebene abspielen, haben keine Auswirkungen auf die Geltung von Betriebsvereinbarungen. Da Bezugsobjekt und Regelungssubstrat von Betriebsvereinbarungen der Betrieb ist, lassen Änderungen, die sich allein auf der Ebene des Unternehmens auswirken und nicht auf betrieblicher Ebene (z.B. Formänderung, Umfirmierung, Wechsel der Gesellschafter), die normative Geltung von Betriebsvereinbarungen unberührt.[243] Insbesondere ist die personelle Identität des Arbeitgebers (z.B. Hauptanteilseigner des Unternehmens) für die (Weiter-)Geltung von Betriebsvereinbarungen ohne Bedeutung.[244]

[243] ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rn 121; WHSS/Hohenstatt, E Rn 74; Maschmann, NZA-Beilage 1/2009, 32, 33.
[244] Kreft, in: FS Wißmann, 2005 S. 347, 349.

(2) Betriebsstilllegung

 

Rz. 215

Der einzige ausdrücklich gesetzlich geregelte Beendigungstatbestand für Betriebsvereinbarungen ist die Kündigung (§ 77 Abs. 5 BetrVG). Darüber hinaus besteht Einigkeit, dass Betriebsvereinbarungen befristet abgeschlossen werden können. In beiden Fällen wirkt die Betriebsvereinbarung möglicherweise gem. § 77 Abs. 6 BetrVG nach.

 

Rz. 216

Welche Beendigungsgründe über die Kündigung und den Ablauf der Befristung hinaus in Betracht kommen, ist umstritten. Die h.M. geht davon aus, dass sich Betriebsvereinbarungen – dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ähnlich – "erledigen", wenn sie ihre Gestaltungsaufgabe bzw. ihren Regelungsgegenstand verlieren.[245]

 

Rz. 217

Die endgültige und vollständige Stilllegung eines Betriebs führt dem Grundsatz nach zur Beendigung der in dem Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen.[246] Mit dem vollständigen und dauerhaften Wegfall des Betriebs als Bezugspunkt können die Betriebsvereinbarungen ihre Gestaltungsaufgabe in der Regel nicht mehr erfüllen.

 

Rz. 218

Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Betriebsvereinbarungen, die gerade im Hinblick auf die Stilllegung des Betriebs abgeschlossen wurden, also insbesondere Sozialpläne, gelten auch nach Stilllegung des Betriebs weiter.[247] Entsprechendes muss für Betriebsvereinbarungen über eine betriebliche Altersversorgung gelten. Für diese besteht ebenfalls auch noch nach dem Wegfall des Betriebs ein Regelungszweck, so dass sie sich durch die Betriebsstilllegung nicht erledigen.[248]

[245] WHSS/Hohenstatt, S. 592; Fitting u.a., § 77 Rn 160; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn 424.
[246] WHSS/Hohenstatt, S. 592; Fitting u.a., § 77 Rn 160; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn 421; ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rn 125.
[247] BAG v. 24.3.1981 – 1 AZR 805/78; Fitting u.a., § 77 Rn 161; DKKW/Berg, § 77 Rn 94; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn 422; Lange, NZA 2017, 288, 289; Richardi/Richardi, § 77 Rn 210; ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rn 125.
[248] Fitting u.a., § 77 Rn 161; DKKW/Berg, § 77 Rn 94; Lange, NZA 2017, 288, 289; Richardi/Richardi, § 77 Rn 210; ErfK/Kania § 77 BetrVG Rn 125.

(3) Betriebsteilstilllegung/Betriebseinschränkung

 

Rz. 219

Anders als die vollständige Schließung bzw. Stilllegung des Betriebs lässt die Betriebsteilstilllegung bzw. Betriebseinschränkung die normative Geltung der für diesen Betrieb abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen in der Regel unberührt.[249] Der Betrieb als Bezugsobjekt für die Betriebsvereinbarungen bleibt – wenn auch im eingeschränkten Umfang – bestehen, so dass auch die Betriebsvereinbarungen ihre Gestaltungsaufgabe in der Regel behalten. Zudem wird sich durch eine bloße Betriebseinschränkung in der Regel auch die Identität des Betriebs nicht grundlegend ändern.[250]

 

Rz. 220

Etwas anderes gilt nur für Betriebsvereinbarungen, die einen eingeschränkten Geltungsbereich hatten und allein für den stillgelegten Betriebsteil abgeschlossen waren. Diese ausschließlich auf den stillgelegten Betriebsteil bezogenen Betriebsvereinbarungen verlieren mit der Stilllegung gerade dieses Betriebsteils ihre Gestaltungsaufgabe und werden daher gegenstandslos.[251]

[249] Lange, NZ...

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