Rz. 5

Ein absoluter Klassiker bei den Gebührenfragen im Alltag ist die Frage nach der Anzahl der gebührenrechtlichen Angelegenheiten. Diese hat besondere Relevanz, da die gesetzlichen Gebühren nach § 15 Abs. 1 RVG die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit entgelten, soweit das RVG nichts anderes bestimmt. In Ergänzung regelt § 15 Abs. 2 RVG ausdrücklich, dass der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern kann. Liegen hingegen mehrere Angelegenheiten vor, fallen die Gebühren jeweils gesondert an.

Umso ärgerlicher ist, dass es auf die Frage nach der Anzahl der Angelegenheiten nicht immer eine klare Antwort gibt. Dies hat verschiedene Ursachen. Zum einen fehlt es an einer gesetzlichen Definition und zum anderen kommt es auch hier wieder auf den Auftrag an. Im Rahmen der Erstattung ist dann noch die Frage der Notwendigkeit eines getrennten Vorgehens zu prüfen.

I. Begrifflichkeit

 

Rz. 6

Da sich das Vorliegen mehrerer Angelegenheiten erheblich auf die Höhe der Gebühren auswirkt, ist es umso problematischer, dass es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt und die Angelegenheit gesetzlich nicht definiert ist.

1. Gerichtliches Verfahren

 

Rz. 7

Im gerichtlichen Bereich ist die Bestimmung noch verhältnismäßig einfach. Hier gilt zunächst nach der ganz herrschenden Meinung der Grundsatz:

ein gerichtliches Verfahren = eine Angelegenheit,
mehrere gerichtliche Verfahren = verschiedene Angelegenheiten.[4]

Bis auf ganz wenige Ausnahmen stellt daher jedes gerichtliche Verfahren eine eigenständige Angelegenheit dar, selbst wenn ein Begehren in mehreren Verfahren verfolgt wird. Dasselbe gerichtliche Verfahren ist hingegen grundsätzlich immer eine einheitliche gebührenrechtliche Angelegenheit, selbst wenn es darin um verschiedene Ansprüche von mehreren Parteien geht. Auch das BVerfG hat hierzu festgestellt, dass es für ein Tätigwerden "in derselben Angelegenheit" im gerichtlichen Verfahren regelmäßig schon genüge, dass die Begehren mehrerer Auftraggeber einheitlich in demselben Verfahren geltend gemacht werden und zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht.[5] Dies gilt auch dann, wenn mehrere Auftraggeber einen Rechtsanwalt an unterschiedlichen Tagen beauftragen.[6]

 

Rz. 8

Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei aber auch den gesetzlichen Regelungen §§ 16 bis 19 RVG gelten. Darin hat der Gesetzgeber für bestimmte Konstellationen – fast ausschließlich für den gerichtlichen Bereich – die Frage der Angelegenheit teilweise geklärt. Während § 16 RVG die Sonderfälle regelt, in denen ausnahmsweise mehrere prozessuale Verfahren dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit sind, legen §§ 17 und 18 RVG fest, wann verschiedene bzw. besondere Angelegenheiten vorliegen. § 19 RVG regelt schließlich, welche Tätigkeiten, die mit dem Verfahren zusammenhängen, mit zum Rechtszug gehören und daher nicht gesondert abgerechnet werden können.

[4] Insbesondere in der Sozialgerichtsbarkeit wird auch bei mehreren Parallelverfahren teilweise nur von einer einheitlichen Angelegenheit ausgegangen. Dabei wird allerdings verkannt, dass es sich hier nicht um eine Frage der Angelegenheit, sondern um eine solche der Notwendigkeit getrennten Vorgehens und damit der Erstattungsfähigkeit handelt. Zutreffend LSG Bremen, Beschl. v. 10.6.2020 – L 7 AS 1/18 B.
[5] BGH, Beschl. v. 26.9.2018 – VII ZB 54/16, AGS 2018, 443 = AnwBl Online 2019, 76; BGH, Beschl. v. 24.3.2016 – III ZB 116/15; BVerfG, Beschl. v. 4.12.2013 – 1 BvQ 33/11.

2. Außergerichtliche Tätigkeit

 

Rz. 9

Sehr viel problematischer gestaltet sich die Sache bei der außergerichtlichen Tätigkeit. Hier gibt es erhebliche Schwierigkeiten, die Ursprung vieler Gebührenstreitigkeiten sind. Die §§ 16 ff. RVG helfen dabei nicht wirklich weiter. Hervorzuheben ist allerdings die Regelung des § 17 Nr. 1a RVG, wonach das Verwaltungsverfahren und das einem gerichtlichen Verfahren vorausgehende und der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende weitere Verwaltungsverfahren sowie das Verwaltungsverfahren auf Aussetzung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung[7] verschiedene Angelegenheiten sind. Dies wird häufig nicht berücksichtigt. Damit wird zwar kein Streit mit dem Mandanten ausgelöst, aber viel Geld verschenkt.

 

Rz. 10

Eine gesetzliche Festlegung darüber hinaus wäre wünschenswert, ist aber nicht realisierbar. Die Fallkonstellationen im außergerichtlichen Bereich sind so vielseitig, dass eine Erfassung aller Varianten unmöglich ist. Und wie in der Juristerei üblich, gilt auch hier: Es kommt darauf an! Daher bleibt es der Rechtsprechung vorbehalten, den Begriff mit Leben zu füllen. Rechtssicherheit schafft das jedoch nicht. Im Zweifel kann auch an eine Vergütungsvereinbarung zwecks Vereinbarung über die Anzahl der Angelegenheiten gedacht werden.

[7] BVerwG, Beschl. v. 16.1.2012 – 1 WDS-KSt 2/11.

a) Definition des BGH

 

Rz. 11

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH lässt sich die Frage nach der Angelegenheit nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände beantwor...

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