Rz. 117

Die zentrale Fragestellung im Rahmen des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB besteht regelmäßig darin, ob die Benachteiligung des Vertragspartners des Klauselverwenders auch "unangemessen" ist.

aa) Gebote von Treu und Glauben als eigenständiger Prüfungspunkt?

 

Rz. 118

Neben diesem Tatbestandsmerkmal setzt der Wortlaut der Generalklausel des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB überdies noch voraus, dass der Vertragspartner "entgegen den Geboten von Treu und Glauben" unangemessen benachteiligt wird. Diese Anforderung erklärt sich vor allem daraus, dass letztlich das gesamte System der AGB-Kontrolle und damit auch die Vorschriften des früheren AGBG sowie die Nachfolgevorschriften der §§ 305 ff. BGB aus § 242 BGB entwickelt wurden.[244] Umstritten ist, ob bzw. inwieweit dem Merkmal "entgegen den Geboten von Treu und Glauben" gegenüber dem Merkmal der "unangemessenen" Benachteiligung überhaupt noch selbstständige Bedeutung zukommt.[245] Zutreffend dürfte es wohl sein, dem Hinweis auf die Gebote von Treu und Glauben keine eigenständige Bedeutung zuzumessen und diese Frage lediglich als Teil der Unangemessenheitsprüfung zu begreifen.[246]

Im Rahmen des Grundsatzes von Treu und Glauben ist auch die sog. Verkehrssitte und damit z.B. auch die Üblichkeit einer bestimmten Regelung im Rechtsverkehr zu berücksichtigen.

[244] Däubler/Deinert/Walser/Deinert, § 307 BGB Rn 65.
[245] Zum Meinungsstand vgl. Däubler/Deinert/Walser/Deinert, § 307 BGB Rn 65.
[246] So auch Clemenz/Kreft/Krause/Klumpp, § 307 BGB Rn 41.

bb) Abwägung der Interessen der am Vertrag Beteiligten

 

Rz. 119

Mit der Formulierung des Ziels der Verhinderung unangemessener und gegen Treu und Glauben verstoßender Benachteiligungen verfolgt § 307 Abs. 1 S. 1 BGB den Zweck, einen umfassenden Interessenausgleich zwischen den zumeist gegenläufigen Interessen des Klauselverwenders und seines Vertragspartners herzustellen.[247] Die Wirksamkeitsfrage ist daher auf der Grundlage einer Abwägung der berechtigten Interessen der am Vertrag Beteiligten zu beantworten.[248]

[247] Clemenz/Kreft/Krause/Klumpp, § 307 BGB Rn 41.

(1) Generell-typisierende Betrachtungsweise

 

Rz. 120

Anzulegen ist dabei eine generelle, typisierende Betrachtungsweise. Es kommt nicht auf die Interessenlage der Vertragsparteien im konkreten Einzelfall an, abzustellen ist vielmehr auf die typische Interessenlage eines Durchschnittsvertragspartners. Individuelle Besonderheiten, die möglicherweise eine besondere – ggf. auch soziale – Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners begründen könnten – z.B. gesundheitliche Beeinträchtigungen oder familiäre Verpflichtungen –, bleiben damit grds. außer Betracht. Ebenso spielt keine Rolle, ob sich die von einer unangemessen benachteiligenden Klausel für den Vertragspartner des Verwenders ausgehenden Gefahren im Einzelfall realisieren oder nicht.[249] Es gilt ein abstrahierter, einheitlicher Prüfungsmaßstab.[250]

Bei der Bildung der relevanten Durchschnittsgruppe und der hierauf aufbauenden typisierenden Betrachtung lässt das BAG in Grenzen allerdings eine gewisse Differenzierung zu: So geht es davon aus, dass die im Rahmen der Angemessenheitskontrolle vorzunehmende Abwägung zu jeweils "gruppentypisch unterschiedlichen Ergebnissen" führen kann, wenn AGB für verschiedene Arten von Geschäften oder gegenüber verschiedenen Verkehrskreisen verwendet werden, deren Interessen, Verhältnisse und Schutzbedürftigkeit generell unterschiedlich gelagert sind.[251] Eine an der Natur der Tätigkeit oder der jeweiligen Branche ausgerichtete Bildung der relevanten Durchschnittgruppe ist damit ebenso denkbar wir eine Differenzierung nach den am Vertrag beteiligten Akteuren.[252]

 

Rz. 121

Da der Arbeitsvertrag nach h.M. ein Verbrauchervertrag ist, erfährt der Grundsatz der generell-typisierenden Betrachtungsweise allerdings durch § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB eine praktisch wichtige Einschränkung: Nach dieser Vorschrift sind im Falle eines Verbrauchervertrags – abweichend von den allgemeinen Regeln – auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen. Berücksichtigt werden kann danach z.B. das Maß der Geschäftserfahrung, Überrumpelungsmomente im Verlauf der Vertragsverhandlungen, die Intensität der Vertragsverhandlungen, der Umfang der ausgetauschten Informationen sowie dem Verwender offenbarte Informationen, die eine besondere Interessenlage des Vertragspartners begründen. Zu berücksichtigen kann vor allem auch ein konkret-individuelles Verhandlungsungleichgewicht sein, welches sich aus den Umständen des Einzelfalls ergibt und über das für ein Arbeitsverhältnis ohnehin typisches Ungleichgewicht der Verhandlungspositionen noch hinausgeht.[253]

[249] ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn 42.
[250] Däubler/Deinert/Walser/Deinert, § 307 BGB Rn 73 f.
[252] Thüsing, Rn 99 hält beispielsweise eine Differenzierung zwischen leitenden und nicht leitenden Arbeitnehmern sowie auf Arbeitgeberseite zwischen Kleinunternehmen und großen Konzernen für zumindest grds. denkbar. Letztlich bleibt die Frage der Bildung der relevanten "Durchschnittsgruppe" allerdings eine Frage des Einzelfalls. Siehe zu dieser Frage a...

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