Rz. 1289

Bevor man entsprechend § 306 Abs. 2 BGB zur Lückenfüllung durch dispositives Recht gelangt, ist zu prüfen ob die unwirksame Klausel ungeachtet des AGB-Verstoßes zumindest teilweise aufrechterhalten werden kann. Das ist der Fall, wenn die Klausel nach Streichung ihres unwirksamen Teils in ihrem anderen Teil einen selbstständigen grammatikalischen Sinn behält; dieser Teil soll dann wirksam bleiben, sog. "geltungserhaltende Klauselabgrenzung".[2794]

Die Arbeitsgerichte haben sich dazu mittlerweile den vom BGH anerkannten Blue-Pencil-Test[2795] zu Eigen gemacht. Danach bleibt eine Klausel soweit aufrechterhalten, wie sie bei Streichung des unwirksamen Teils (Streichung "mit einem blauen Stift") noch eine selbstständige, für sich genommen sinnvolle und verständliche, Regelung bildet.[2796] Enthält eine Klausel mehrere sachliche Regelungen, bleibt sie bestehen, soweit der unzulässige Teil sprachlich eindeutig abtrennbar und die verbleibende Regelung weiterhin verständlich ist.[2797]

Sprachliche Unteilbarkeit spricht für inhaltliche Unteilbarkeit. Sprachliche Teilbarkeit ist umgekehrt ein Indiz für inhaltliche Teilbarkeit. Grenze ist die Umgehung des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion: Es muss geprüft werden, ob etwa eine gekünstelte Aufspaltung der Klausel vorliegt. Ferner darf der Sinngehalt und der Zweck der Klausel durch die Streichung nicht völlig verändert werden. Schließlich kann in Fällen, in denen die Intransparenz gerade aus der Kombination mehrerer Klauseln besteht, eine Streichung nicht erfolgen, nur um die Klausel "transparent" zu machen. Denn damit würde die Schwelle zur geltungserhaltenden Reduktion überschritten.[2798]

 

Rz. 1290

 

Beispiel 1

Eine Vertragsstrafenregelung kann geteilt werden, wenn die Klausel mehrere auslösende Pflichtverletzungen bezeichnet, die zur Verwirkung der Vertragsstrafe führen, wovon eine zu unbestimmt ist. Jede auslösende Pflichtverletzung muss so klar bezeichnet sein, dass sich der Versprechende in seinem Verhalten darauf einstellen kann. Wenn die verbleibende Regelung ohne den gestrichenen Teil verständlich bleibt, kann die unzulässige Vertragsstrafenregelung herausgestrichen werden, und die restliche Regelung bleibt nach dem "bluepencil-test" wirksam.[2799]

 

Beispiel 2

Bei einer zweistufigen Ausschlussfrist führt die Unwirksamkeit der zweiten Stufe (zu kurze Frist – ein Monat – für die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs nach Ablehnung) nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel, wenn eine sinnvolle und eigenständige Regelung zur ersten Stufe (schriftliche[2800] Geltendmachung innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit) verbleibt.[2801] Die zweite Stufe der Ausschlussfrist kann gestrichen werden, ohne dass dadurch die Verpflichtung der Parteien, ihre Ansprüche innerhalb von drei Monaten schriftlich geltend zu machen, sinnlos oder unverständlich wäre.

[2794] BeckOK/Jacobs, § 306 Rn 7; Willemsen/Grau, RdA 2003, 321.
[2796] BAG 21.4.2005 – 8 AZR 425/04 NZA 2005, 1053; BAG 19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809; BAG 12.3.2008 – 10 AZR 152/07, NZA 2008, 699; ErfK/Preis, § 310 BGB Rn 103; Kritisch: Däubler u.a./Dorndorf/Bonin, § 306 Rn 12a.
[2798] BAG 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81; ErfK/Preis, § 310 BGB Rn 103.
[2799] BAG 21.4.2005 – 8 AZR 425/04, NZA 2005, 1053, 1056: Diese Vertragsstrafenregelung ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, soweit die Vertragsstrafe für den Fall verwirkt ist, dass der Arbeitnehmer durch schuldhaftes vertragswidriges Verhalten den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst. Die Verwirkung der vereinbarten Vertragsstrafe durch "schuldhaft vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers, das den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst", ist nicht klar und verständlich, weil die Pflichtverletzungen nicht hinreichend bestimmt sind. Von der Unwirksamkeit wird die Vertragsstrafenregelung nicht erfasst, soweit sie an den Nichtantritt des Arbeitsverhältnisses oder die Lösung des Arbeitsverhältnisses unter Vertragsbruch anknüpft; kritisch Thüsing, BB 2006, 661, 663.
[2800] Am 1.10.2016 ist die Neufassung des § 309 Nr. 13 BGB in Kraft getreten. Klauseln, die eine "schriftliche" Geltendmachung von Ansprüchen verlangen, sind unwirksam, weil die Textform ausreichend ist (vgl. hierzu Schaub/Linck, ArbR-Hdb., § 35 Rn 89 und § 32 Rn 55.
[2801] BAG 12.3.2008 – 10 AZR 152/07, NZA 2008, 699: Hinsichtlich der ersten Stufe der Verfallklausel war die von der Rechtsprechung angenommene Untergrenze von drei Monaten gewahrt; die zweite Stufe der Verfallklausel war mit einem Monat zu kurz und daher unwirksam. Die Unwirksamkeit der zweiten Stufe führte allerdings nicht zum ersatzlosen Wegfall der gesamten Klausel, denn diese ist teilbar. Im vorliegenden Fall sind die erste und zweite Stufe der Ausschlussfrist in unterschiedlichen Sätzen der Verfallklausel geregelt. Beide Regelungskomplexe s...

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