Rz. 337

Ein Arbeitsverhältnis kann ausnahmsweise aufgrund gesetzlicher Regelungen bzw. gesetzlicher Fiktion, und nicht aufgrund übereinstimmender Willenserklärungen entstehen.

 

Beispiele

§ 78a Abs. 2 BetrVG/Verlangen der Weiterbeschäftigung: Begründung eines Arbeitsverhältnisses im Anschluss an ein Berufsausbildungsverhältnis bei Verlangen des Auszubildenden, der Mitglied in einem Betriebsverfassungsorgan ist. Mit Ausübung dieses Gestaltungsrechts wird kraft gesetzlicher Fiktion auch gegen den Willen des Arbeitgebers die Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses herbeigeführt.[866]
§ 10 Abs. 1 AÜG/Fingiertes Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher: gesetzliche Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, wenn der Verleiher nicht über die erforderliche Erlaubnis verfügt oder wenn die Erlaubnis des Verleihers nach der Überlassung wegfällt. Das Vertragsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ist dann gemäß § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam, und zugleich wird ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher begründet. Es entsteht ein vollwertiges Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher nach Arbeitsaufnahme.[867] Die Regelung ist zwingend und dient dem Schutz der Leiharbeitnehmer. Die Begründung des Arbeitsverhältnisses beruht auf einer zwingenden Fiktion des Gesetzgebers. Eine vertragliche Einigung zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer ist nicht erforderlich. Die Wirkung der Fiktion tritt unabhängig vom Willen oder von der Kenntnis der Beteiligten ein. Auch wenn diese der Auffassung sind, es handele sich nicht um Arbeitnehmerüberlassung, sondern um einen Dienst- oder Werkvertrag oder wenn der Verleiher das Bestehen einer Erlaubnis vorgespiegelt oder den Wegfall der Erlaubnis nicht angezeigt hat, wird ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher begründet.[868] Selbst gegen den Willen der Beteiligten tritt die gesetzliche Fiktion ein. Die Beteiligten können daher nicht vereinbaren, dass die Fiktion nicht eintritt. Eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses kommt ebenfalls nicht in Betracht, da das fingierte Arbeitsverhältnis nicht durch die Abgabe von Willenserklärungen zustande kommt. Im Gegensatz zu § 613a BGB steht dem Leiharbeitnehmer auch kein Widerspruchsrecht gegen die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher zu.[869] Der Leiharbeitnehmer hat ein Recht zur Kündigung.
§ 613a BGB/Betriebsübergang: Im Falle eines Betriebsübergangs tritt der Betriebserwerber kraft Gesetzes in das bestehende Arbeitsverhältnis ein, wenn der Arbeitnehmer nicht von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht;
§ 1922 Abs. 1 BGB/Universalsukzession: Beim Tod des Arbeitgebers geht das Arbeitsverhältnis im Wege der Universalsukzession auf dessen Erben über.
[866] ErfK/Kania, § 78a BetrVG Rn 4f; Fitting u.a., § 78a Rn 29; GK-BetrVG/Oetker, § 78a Rn 50; Richardi/Thüsing, § 78a BetrVG Rn 21.
[867] Boemke/Lemke/Lemke, § 10 AÜG Rn 28; a.A.: Erfk/Wank § 10 AÜG Rn 4, der auf die Vereinbarung abstellt und keine keine tatsächliche Arbeitsaufnahme als unerlässliche Voraussetzung verlangt.
[868] BGH 8.11.1979 – VII ZR 337/78, NJW 1980, 452; ErfK/Wank AÜG, § 10 Rn 3f; Ulber, AÜG, § 10 Rn 19; Thüsing, AÜG, § 10 Rn 11.
[869] ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn 8; Schüren, AÜG, § 10 Rn 41: a.A.: LAG Hessen 6.3.2001 – 2/9 Sa 1246/00, NZA-RR 2002, 73: § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ist insoweit verfassungswidrig, als darin zwingend ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher fingiert wird, weil dadurch Art 12 Abs. 1 GG – freie Wahl des Arbeitsplatzes – verletzt wird, und ist daher verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dem Arbeitnehmer ein Widerspruchsrecht gegen die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher zusteht.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge