Rz. 44

Der Pflichtteilsberechtigte kann einen belasteten oder beschwerten Erbteil immer ausschlagen und seinen Pflichtteil geltend machen. Nimmt er den belasteten Erbteil an, ändert sich an seiner Rechtsstellung als Erbe nichts. Die zu seinen Lasten angeordneten Beschwerungen und Beschränkungen bleiben in vollem Umfang bestehen, ohne Rücksicht darauf, ob sie den Pflichtteil beeinträchtigen oder ob nach ihrer Erfüllung überhaupt noch ein wirtschaftlicher Wert verbleibt.[133] Nach Annahme der Erbschaft ist die Geltendmachung von (ordentlichen)[134] Pflichtteilsansprüchen einschließlich des Pflichtteilsrestanspruchs ausgeschlossen.[135] Das Risiko, dass der Erbteil durch vom Erblasser angeordnete Belastungen ausgehöhlt und wertmäßig unter den Pflichtteil herabgemindert ist, liegt also allein beim pflichtteilsberechtigten Erben.[136] Gleiches gilt für den zum Nacherben berufenen Pflichtteilsberechtigten,[137] der sich stets dem Risiko ausgesetzt sieht, dass der Vorerbe – berechtigterweise oder unberechtigt – die Vorerbschaft verbraucht.

 

Rz. 45

Durch die fristgerechte Ausschlagung[138] verliert der Pflichtteilsberechtigte seine Erbenstellung, erwirbt aber den vollen Pflichtteilsanspruch.[139] Im Falle der Geltendmachung erlangt er (nur) die Stellung eines Nachlassgläubigers; eine dingliche Beteiligung am Nachlass ist ausgeschlossen. Bei einer belasteten Erbeinsetzung stellt die Ausschlagung den einzigen Weg dar, eine Aushöhlung des eigenen Pflichtteils durch Beschränkungen und Beschwerungen zu vermeiden. § 2318 BGB bewirkt insoweit keinen Schutz.[140]

 

Rz. 46

 

Praxishinweis

In der Praxis ist die Entscheidung, ob die Ausschlagung oder die Annahme der Erbschaft zu einem günstigeren Ergebnis führt bzw. ob überhaupt eine Möglichkeit zur Ausschlagung (ohne Verlust des Pflichtteilsrechts) besteht, äußerst problematisch.

Praxisrelevant ist daher die Frage, ob eine Anfechtung zulässig ist, wenn der pflichtteilsberechtigte Erbe einen beschwerten bzw. beschränkten Erbteil angenommen hat und ihm dies erst nach Ablauf der Ausschlagungsfrist bewusst wird. Die h.M. bejaht in diesem Fall einen Anfechtungsgrund nach § 119 Abs. 2 BGB (Inhaltsirrtum), und sieht in den Beschränkungen oder Beschwerungen nach § 2306 BGB eine verkehrswesentliche Eigenschaft. Der BGH hat ebenfalls eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB zugelassen, wenn die Erbschaft in Unkenntnis eines belastenden Vermächtnisses angenommen wurde.[141] Das BayObLG hat ebenfalls die Beschränkung durch eine Nacherbfolge als verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses angesehen.[142]

Darüber hinaus hat der BGH[143] in einem grundlegenden Beschluss vom 5.7.2006 Folgendes festgestellt:

"Die irrige Vorstellung des unter Beschwerungen als Alleinerbe eingesetzten Pflichtteilsberechtigten, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren, rechtfertigt die Anfechtung einer auf dieser Vorstellung beruhenden Annahme der Erbschaft."

Der Erbe hat sich dann über die Notwendigkeit der Ausschlagung zwecks Erlangung seines Pflichtteilsanspruches geirrt. Hierin liegt ein Inhaltsirrtum. Diese Entscheidung erging noch zu § 2306 BGB a.F.

Diese Rechtsprechung gilt auch nach der Reform des § 2306 BGB fort, weil von einem rechtlich nicht beratenen Erben nicht erwartet werden kann, dass er weiß, dass er einen belasteten Erbteil ausschlagen muss, um sich seinen Pflichtteil zu erhalten.[144] So jetzt auch das Urteil des BGH vom 29.6.2016 – IV ZR 387/15:[145]

“Auch nach der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB mit Wirkung zum 1.1.2010 kann ein zur Anfechtung der Annahme einer Erbschaft berechtigender Irrtum vorliegen, wenn der mit Beschwerungen als Erbe eingesetzte Pflichtteilsberechtigte irrig davon ausgeht, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren.

Der mit Beschränkungen und Beschwerungen belastete Erbe weiß im Regelfall nicht, dass er die Erbschaft ausschlagen muss, um seinen Pflichtteilsanspruch nicht zu verlieren (Fortführung von BGH v. 5.7.2006 – BGH Aktenzeichen IVZB3905 IV ZB 39/05, ZEV 2006, ZEV Jahr 2006 Seite 498 mAnm Leipold).“

Nichtsdestotrotz sollte sich der kundige Berater auf derartige Anfechtungsmöglichkeiten nicht verlassen und der genauen rechtlichen Prüfung sowie dem Zeitpunkt des Ablaufs der Ausschlagungsfrist besondere Aufmerksamkeit widmen.

[133] U. Mayer, DNotZ 1996, 422, 424.
[134] Die Möglichkeit, Pflichtteilsergänzungsansprüche (§ 2326 S. 2 BGB) geltend zu machen, wird durch § 2306 BGB nicht berührt, vgl. RG SeuffA 88 Nr. 147; Staudinger/Herzog, § 2306 Rn 55.
[135] Hölscher/Mayer, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 3 Rn 23.
[136] Damrau/Tanck/Riedel, PK Erbrecht, § 2306 Rn 21.
[137] Vgl. hierzu ausführlich Beckmann, ZEV 2012, 637 f.
[138] Vgl. hierzu Damrau/Tanck/Riedel, PK Erbrecht, § 2306 Rn 25 ff.
[139] MüKo/Lange, § 2306 Rn 19.
[140] Vgl. Hölscher/Mayer, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 2 Rn 60 ff.
[142] BayObLG ZEV 199...

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