Rz. 464

In weiten Teilen Spaniens gilt nicht das im Código Civil kodifizierte "gemeinspanische" Erbrecht, sondern existieren autonome Bestimmungen (Foralrechte), die zum Teil erheblich vom gemeinspanischen Recht abweichen, vor allem in Bezug auf die Zulässigkeit von Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten, das Ehegattenerbrecht, das gesetzliche Erbrecht nichtehelicher Lebensgefährten und die Pflichtteile.[474] Ob und welches dieser Rechtsordnungen im interlokalen Verhältnis anwendbar ist, wird anhand der vecindad civil des Erblassers bestimmt, Art. 9.8 i.V.m. Art. 16.1 CC. Bei dieser Anknüpfung an die vecindad civil handelt es sich um ein einheitliches interlokales Privatrecht i.S.v. Art. 36 Abs. 1 EUErbVO bzw. Art. 4 Abs. 3 S. 1 EGBGB.[475]

 

Rz. 465

Die vecindad civil wird grundsätzlich von den Eltern durch Abstammung erworben; wichtig ist dies vor allem bei Auslandsspaniern, die im Ausland geboren wurden und verstorben sind, ohne jemals längere Zeit in Spanien gelebt zu haben. Ansonsten entsteht sie durch entweder zweijährigen fortgesetzten Aufenthalt in einem autonomen Gebiet und entsprechende Erklärung gegenüber dem Standesamt oder durch zehnjährigen fortgesetzten Aufenthalt ohne Abgabe einer gegenteiligen Erklärung, Art. 14.5 CC. Die vecindad civil bleibt auch nach Verlegung des Wohnsitzes in das Ausland bestehen.

 

Rz. 466

Problematisch ist nun, dass aufgrund der EUErbVO spanisches Erbrecht nach einem mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien verstorbenen Erblasser auch dann zur Anwendung gelangt, wenn dieser keine spanische Staatsangehörigkeit besaß und damit über keine vecindad civil verfügte. Es bestehen in Spanien verschiedene Auffassungen darüber, wie in diesen Fällen die maßgebliche Rechtsordnung zu bestimmen ist:

1. Mangels vecindad civil gilt gemeinspanisches Recht, also der Codigo Civil;
2. Mangels Lösung im spanischen interlokalen Privatrecht gilt über Art. 36 Abs. 2 lit a EUErbVO unmittelbar das Recht der Region, in der der Erblasser zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte;[476]
3. Da der Erblasser keine vecindad civil hatte, gilt das spanische interlokale Erbrecht mit der Maßgabe, dass die vecindad civil durch den Wohnsitz ersetzt wird. Das bedeutet dann die entsprechende Geltung der bis zur Anwendbarkeit der EUErbVO geltenden Regeln des spanischen IPR zum internationalen Privatrecht auch auf der interlokalen Ebene.[477]

Eine maßgebliche Entscheidung steht noch aus.

Da der Vorrang des gemeinspanischen materiellen Erbrechts vor den lokalen autonomen Regeln nicht begründet werden kann, werden wohl nur die Lösungen 2 und 3 realistische Chancen auf eine Anerkennung haben. Dabei dürfte m.E. die Lösung 3 vorzuziehen sein. Nur diese Lösung verhindert, dass die interlokale Rechtskollision mittelbar durch die EUErbVO geregelt wird – was gem. Art. 38 EUErbVO eigentlich vermieden werden sollte.

[474] Bzgl. der Pflichtteilsregelungen siehe Rdn 477 ff. allgemein: Steinmetz/Garcia/Huzel, in: Süß, Erbrecht in Europa, Spanien Rn 11 ff.; umfassende Textdokumentation bei Hierneis, in: Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann, Spanien Texte Teil B. Monographisch Hierneis, Das besondere Erbrecht der sogenannten Foralrechtsgebiete Spaniens, 1966.
[475] Staudinger/Dörner, Anh. zu Art. 25 f. EGBGB Rn 797.
[476] Sog. direkte Verweisung, z.B. favorisierrt durch die Direccion General de los Registros y del Notariado, dazu Steinmetz/Garcia, ZEV 2016, 145.
[477] Sog. indirekte Verweisung. Diese Asicht wird von namhaften Vertretern der Lehre favorisiert, dazu Steinmetz/Garcia, ZEV 2016, 145.

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