Rz. 564

Im Kollisionsrecht der US-Staaten schlägt sich nieder, dass die Funktionen des aus dem Erbrecht entfernten Pflichtteils nun von verschiedensten anderen Rechtsinstituten mit jeweils eigener Ausgestaltung und Zielsetzung wahrgenommen werden. So wird der Anspruch des Ehegatten und unterhaltsbedürftiger Familienangehöriger auf Unterhalt während einer bestimmten Zeit unmittelbar nach Eintritt des Erbfalls (family allowance; siehe Rdn 583) vielfach verfahrensrechtlich qualifiziert.[544] Das ist konsequent, denn der Anspruch ist Reaktion auf die Dauer der Nachlassverfahren in den USA und die fehlende dingliche Teilhabe der Berechtigten am Nachlass bis zur Verteilung. Art. 732.403 Florida Probate Code dagegen macht die Gewährung der family allowance davon abhängig, dass der Erblasser mit domicile in Florida verstorben ist.

 

Rz. 565

Das Recht des überlebenden Ehegatten, zwischen der testamentarischen Zuwendung und der gesetzlichen Mindesterbquote zu wählen (elective share), wird grundsätzlich dem Erbstatut unterstellt. Das kann im Fall der Nachlassspaltung durch in einem anderen Staat belegenen Grundbesitz zu "Doppelbegünstigungen" führen.

 

Beispiel

Der Erblasser hatte seinem Ehegatten im Testament das bewegliche und das im Wohnsitzstaat belegene unbewegliche Vermögen – im Wesentlichen das Familienheim – zugewandt. Eine in einem Nachbarstaat belegene Jagdhütte dagegen hat er seinem Freund vermacht. Aufgrund der Nachlassspaltung könnte der Ehegatte hier für die im Nachbarstaat belegene Immobilie ein nach dem dortigen Belegenheitsrecht bestehendes right of election selbst dann noch ausüben, wenn er aus dem übrigen Nachlass bereits den überwiegenden Teil des Gesamtnachlasses erhalten hätte und wohl versorgt wäre.

 

Rz. 566

Da die election dem Willen des Erblassers zur Durchsetzung verhelfen und einen gerechten Interessenausgleich begünstigen soll, tendiert die Rechtsprechung der US-Gerichte dahin, derartige Wertungswidersprüche durch Bezugnahme auf das am domicile des Erblassers geltende Recht zu lösen: So könne sich jemand nicht mehr auf die gesetzliche Quote am Immobilienbesitz berufen, wenn er sich am domicile des Erblassers bereits dafür entschieden hat, die testamentarischen Zuwendungen anzunehmen. Habe er sich am auswärtigen Belegenheitsort für die Annahme der testamentarischen Zuwendung entschieden, könne er am domicile des Erblassers zwar immer noch die gesetzlichen Recht einklagen, müsse sich dann aber dieses Vermächtnis auf seine gesetzlichen Rechte anrechnen lassen.[545]

 

Rz. 567

Der Uniform Probate Code (UPC; siehe Rdn 589) und die Gesetze einer zunehmenden Anzahl von US-Staaten bestimmen, dass das Recht auf election dem Ehegatten eines Erblassers nur dann zustehe, wenn der Erblasser im betreffenden Staat sein domicile hatte. Dann aber werde in die Berechnung der gesamte Nachlass, auch wenn er in einem anderen Staat belegen sei, erfasst.[546] Daraus ergibt sich, dass in den entsprechenden US-Staaten nicht allein die Rechte bzgl. des beweglichen, sondern auch bzgl. des unbeweglichen Nachlasses insgesamt dem am domicile des Erblassers geltenden Recht unterstellt werden.[547] Für die election wird also eine von der allgemeinen erbrechtlichen Kollisionsregelung abweichende Kollisionsnorm gebildet, die die Nachlassspaltung überwindet und für den gesamten Nachlass einheitlich auf das am letzten domicile des Erblassers geltende Recht verweist.

 

Rz. 568

 

Praxishinweis

Für die Praxis ergäben sich daraus folgende Folgerungen: Hinterlässt ein Deutscher ein Grundstück in New York, ergibt sich m.E. daraus, dass trotz grundsätzlicher Geltung des Erbrechts von New York über Art. 3a Abs. 2 EGBGB kein elective share nach dem Recht von New York entsteht. Vielmehr wird man das dortige Kollisionsrecht so auslegen müssen, dass der Regelungsbereich "elective share" und damit auch der Bereich "Pflichtteil" insgesamt von der Verweisung auf das New Yorker Belegenheitsrecht ausgeklammert bleibt. Damit ergibt sich für in New York belegene Immobilien mangels "Anwendungswillens" auch kein vorrangiges Einzelstatut i.S.v. Art. 3a Abs. 2 EGBGB.

Umgekehrt würde in dem Fall, dass ein in New York lebender US-Amerikaner ein in Deutschland belegenes Grundstück hinterlässt, das deutsche Pflichtteilsrecht von der Rückverweisung auf das deutsche Belegenheitsrecht nicht erfasst werden. Vielmehr würde für die Entstehung von Pflichtteilen das Recht von New York anwendbar bleiben, so dass z.B. testamentarisch übergangene Kinder keine Pflichtteilsansprüche nach BGB hätten.

 

Rz. 569

Auch Ansprüche am homestead und sonstiges exempt property werden vielfach dem Recht des Staates unterstellt, in dem der Erblasser sein domicile hatte,[548] womit auch in diesem Bereich eine Nachlassspaltung vermieden wird.

[544] Nachweise bei Scoles/Hay, Conflict of Laws, § 20.14.
[545] Scoles/Hay, Conflict of Laws, § 20.15 m. Nachw. der Rechtsprechung.
[546] § 2–202 (d) UPC; ebenso § 5–1.1 (d) (6) und (7) des New Yorker Estate Powers and Trusts Law i.d.F. von 1992; vgl. Scoles/Hay, C...

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