I. Zielgruppen und Rückfallrisiko
Rz. 126
Die MPU erhebt für sich den Anspruch, den Fahrerlaubnisbehörden bei ihrer Entscheidungsfindung Hilfestellung zu geben. Dies setzt eine gewisse Verlässlichkeit in Bezug auf die Urteilsfindung einerseits und auf die Voraussagekraft des Urteils für das zukünftige Verkehrsverhalten der Klienten andererseits voraus. Die bundesweit einheitliche Urteilsfindung ist durch Standardisierung und die zugrunde liegenden Normwerke gewährleistet. Um eine Aussage über die tatsächliche Voraussagekraft und damit die Legalbewährung der MPU machen zu können, bedarf es der Überprüfung anhand empirischer Daten (vgl. Rdn 223 ff.).
1. Rückfallrisiko
Rz. 127
Klipp hat hierzu im Rahmen des 8. Symposiums "Sicher Fahren in Europa" von ADAC und BASt 2012 einen Vortrag zur Verkehrsbewährung mit dem Titel "Warum Eignung nicht gleich Eignung ist: Das Sicherheitsrisiko nach Wiedererlangung der Fahreignung" gehalten. Im Rahmen dieser Studie wurde das Verkehrsverhalten von Kraftfahrern, die nach einem Fahrerlaubnisentzug (z.T. mithilfe einer MPU) ihre Fahrerlaubnis zurück erhalten hatten, über drei Jahre analysiert. Dazu wurden sie entsprechend ihren Auffälligkeiten in Deliktgruppen (Alkohol, Drogen, Verkehrsverstöße) eingeteilt. Als Rückfall wurden neuerliche Auffälligkeiten (erneute Alkohol- oder Drogenauffälligkeit, Unfallverursachung oder erneuter Fahrerlaubnisentzug) nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis gewertet und in jeder Gruppe die relativen Rückfall-Häufigkeiten berechnet. Demnach wurde mehr als ein Drittel der Kraftfahrer (vgl. Klipp[23]) nach der Neuerteilung ihrer Fahrerlaubnis erneut auffällig. Die Rückfallwahrscheinlichkeiten aufgeschlüsselt nach Deliktgruppen befinden sich in Abbildung 19.3.
Rz. 128
Die höchsten Rückfallraten wurden für das Kriterium "Verkehrsverstoß" registriert. Hier weist sich die Gruppe der "Punktetäter" mit nahezu 75 % als Hochrisikogruppe aus. Allerdings liegt die deliktspezifische Rückfallrate der Alkohol- und Drogenauffälligen mit nahezu 10 % um ein Vielfaches über der Prävalenz, also der Auffallenswahrscheinlichkeit, innerhalb der Gruppe aller Fahrerlaubnisinhaber (ca. 53 Mio.), die bei 1,2 % liegt.
Rz. 129
Daraus folgt die Notwendigkeit zur Optimierung des Maßnahmenspektrums für auffällig gewordene Verkehrsteilnehmer, da vor allem von mehrfach mit Verkehrsverstößen auffällig gewordenen Kraftfahrern ein hohes Sicherheitsrisiko ausgeht (vgl. Klipp[25]).
2. Dunkelzifferproblematik
Rz. 130
Bei all diesen Betrachtungen darf nicht vergessen werden, dass nicht jeder Verstoß aktenkundig wird. Ganz im Gegenteil: Die Dunkelziffer ist erschreckend hoch. Das Wort allein deutet an, dass eine verlässliche Benennung von Zahlen unmöglich ist. Dennoch kann man die Dunkelziffer schätzen. Diese Schätzungen schwanken beträchtlich. Laut Expertenmeinung liegt die Dunkelziffer bei Alkoholfahrten bei etwa 1:300 bis zu 1:600. Unter der Annahme, dass dieses Verhältnis in Annäherung der Realität entspricht, bedeutet dies, dass nur jede 301. bis 601. Fahrt unter Alkohol entdeckt wird[26]. Rechnet man dieses Verhältnis einem einzigen Fahrer zu, hat er ein Entdeckungsrisiko von lediglich 0,16–0,33 % zu fürchten (vgl. VdTÜV[27]). Ein sehr großer Anteil der Alkoholfahrten bleibt also unentdeckt und ungeahndet. Daraus entsteht in der Folge die Lernerfahrung, dass das Fahren unter Alkoholeinfluss ungefährlich ist und somit kein Grund für eine Verhaltensänderung besteht. Auch dadurch stellen Alkoholauffällige eine Hochrisikogruppe dar.
Rz. 131
Für die Dunkelziffer von Drogenfahrten ist zudem zu beachten, dass der Substanzeinfluss häufig nur entdeckt wird, wenn ein auffälliges Verhalten gezeigt wird. Dadurch sollte die Dunkelziffer noch viel höher liegen als für Alkoholdelikte.[28] Dies gilt insbesondere für gelegentlichen Cannabiskonsum.[29]
3. Sonderfall: fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge
Rz. 132
Die Gruppe der fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeuge nach § 4 FeV umfasst
▪ | Mofas, bei abgelegter Prüfung nach § 5 FeV, |
▪ | Mobilitätshilfen, |
▪ | Kleinkrafträ... |
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