Rz. 111

 

Beispiel

Ein aus Los Angeles stammender US-Amerikaner, der zuletzt mit seiner Ehefrau in New York lebte und nach Trennung von ihr nun mit seiner Freundin in Düsseldorf wohnt, möchte für seine Erbfolge gerne kalifornisches Erbrecht wählen. Dieses sieht – anders als das in New York geltende Recht – für die Witwe keine zwingenden Rechte vor, so dass die Erbeinsetzung seiner Lebensgefährtin nicht beeinträchtigt würde.

 

Rz. 112

Eine Verweisung aufgrund Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Erblassers gilt gem. Art. 36 Abs. 2 lit b EUErbVO als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit, zu der der Erblasser die engste Verbindung hatte. Diese Regelung betrifft effektiv aufgrund des Ausschlusses einer objektiven Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit in der EUErbVO ausschließlich die Fälle der Anwendung ausländischen Rechts aufgrund einer Rechtswahl des Erblassers (Art. 22, 24 Abs. 2, 25 Abs. 3 EUErbVO).

 

Rz. 113

Damit ergibt sich, dass in dem Fall, dass der Heimatstaat keine einheitliche Rechtsordnung kennt, der Testator nur das Recht des Gesamtstaates wählen kann, nicht aber unmittelbar eine ihm vertraute oder günstig erscheinende Teilrechtsordnung aussuchen kann. Vorbehaltlich eines einheitlichen interlokalen Kollisionsrechtssystems in diesem Staat (vgl. Art. 36 Abs. 1 EUErbVO) wird dann also die maßgebliche Teilrechtsordnung zwingend nach dem "objektiven Maßstab" in Art. 36 Abs. 2 lit. b EUErbVO bestimmt.

 

Rz. 114

Für den Beispielsfall ergibt sich daraus, dass der Kalifornier in seinem Testament für die Erbfolge ausschließlich die Geltung des "US-amerikanischen Rechts" anordnen kann. Bestimmt er die Geltung des Rechts "von New York", so ist diese Anordnung nur dann zu beachten, wenn er in den USA tatsächlich die engsten Verbindungen zum Staat New York hat. Ob das vom Erblasser gewünschte kalifornische oder das mutmaßlich von der Ehefrau präferierte Recht von New York gilt, entscheidet der zuständige deutsche (Art. 4 EUErbVO) Richter anhand seiner Ansicht von der "engsten Verbindung". Gelangt der Richter zu dem Ergebnis, dass die engste Verbindung zur Geltung des Erbrechts von Kalifornien führt, so wäre genauer zu ermitteln, ob der Erblasser auch für diesen Fall die Geltung des US-Rechts gewollt hätte.

 

Rz. 115

Eine besondere Rechtsunsicherheit ergibt sich nun daraus, dass Art. 36 Abs. 2 lit. b EUErbVO nicht konkretisiert, ob die engste Verbindung zum Zeitpunkt des Todes oder zum Zeitpunkt der Rechtswahl entscheidet. Die Frage ist völlig ungeklärt. Selbst in der Literatur liegt erkennbar noch keine Position vor.

 

Rz. 116

So würde sich im Beispielsfall die Verbindung nach New York mit der Zeit abschwächen und die Verbindung nach Kalifornien verstärken, wenn der Erblasser z.B. in Los Angeles weiterhin Familienangehörige hatte, die er regelmäßig besucht, in New York aber außer seiner Ex-Ehefrau niemand mehr wohnt. Die Rechtswahl würde aber als Gestaltungsmittel erheblich an Bedeutung verlieren. Zieht der Erblasser z.B. später nach Texas und stirbt dort, so würde eine enge Beziehung wohl nur noch zum texanischen Recht führen, welches er bei Errichtung der Verfügung möglicherweise gar nicht in Betracht gezogen hatte. Art. 22 Abs. 1 EUErbVO verzichtet sogar darauf, dass der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes überhaupt diese Staatsangehörigkeit gehabt hat. Der Erblasser kann sich aussuchen, ob es auf die Staatsangehörigkeit bei Anordnung der Rechtswahl oder aber zum Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls ankommt. Überträgt man dies auf die interlokale Konstellation, so muss es im Beispielsfall genügen, dass der Testator entweder bei Ausübung der Rechtswahl oder aber zum Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls die engste Verbindung zu New York gehabt hat.

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