Rz. 240

Der Sachverhalt muss einen erheblichen Inlandsbezug[207] und eine Gegenwartsbeziehung aufweisen.

 

Beispiel

Sind sämtliche Beteiligte in Marokko lebende Muslime und beantragen sie nach ihrem in Marrakesch verstorbenen Vater einen Erbschein zur Abwicklung eines hier befindlichen Bankdepots, erscheint es vermessen, die sich bei Anwendung des islamischen Erbrechts ergebende Verteilung der Erbquoten zu korrigieren. Der geringe Inlandsbezug rechtfertigt allenfalls die Berücksichtigung universeller Menschenrechte.[208] Spannungen lassen sich hier durch Beantragung eines quotenlosen Erbscheins vermeiden.

 

Rz. 241

Die Nähebeziehung nimmt auch bei Vorfragen ab.

 

Beispiel

Haben in Gelsenkirchen lebende Muslime in ihrer Heimat nach dem dort geltenden Heimatrecht polygam geheiratet, würde man bei isolierter Betrachtung der Wirksamkeit der Eheschließung diese für nichtig halten. Beurteilt man aber das gesetzliche Erbrecht der beiden überlebenden Ehefrauen, die lange Jahre mit ihm zusammengelebt haben, nach dem Tod des Ehemannes, so muss man beiden Witwen ein Pflichtteilsrecht zuerkennen, um sich aus der Rechtlosstellung der zweiten Ehefrau ergebendes größeres Unrecht zu verhindern.[209]

 

Rz. 242

Der Grad und die Art der erforderlichen Inlandsbeziehung lassen sich also nicht absolut festsetzen, sondern hängen von der Bedeutung der verletzten deutschen Grundsatznorm ab. Der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers im Ausland schließt die erforderliche Inlandsbeziehung nicht aus,[210] denn erst dieser Umstand führt zur Anwendbarkeit ausländischen Rechts.[211]

 

Rz. 243

Die Anknüpfung des Erbstatuts an den gewöhnlichen Aufenthalt in Art. 21 EUErbVO sorgt nun dafür, dass die Fälle der bedeutendsten Inlandsbeziehung – Lebensmittelpunkt des Erblassers im Inland – ohnehin deutschem Recht unterfallen. Leben allerdings – wie im Beispielsfall – allein die Erben im Inland oder hat der im Inland lebende Erblasser sein Heimatrecht gewählt, um dem deutschen Pflichtteilsrecht zu entfleuchen, so kann sich auch hieraus schon eine hinreichende Inlandsbeziehung ergeben.

[207] BGH NJW-RR 2007, 145; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 16 II, S. 523.
[208] So auch IPG 2002 Nr. 25 Libyen (Erlangen) S. 371.
[209] Palandt/Thorn, Art. 6 EGBGB Rn 6.
[210] Insoweit unzutreffend daher OLG Hamm FamRZ 1993, 111.
[211] In diesem Sinne Dörner, IPRax 1994, 36.

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