a) Ausgangspunkt

 

Rz. 25

Zivilrechtlich entsteht der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall, § 2317 BGB. Anderes gilt hingegen für das Erbschaftsteuerrecht. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsteht die Erbschaftsteuer für den geltend gemachten Pflichtteil erst in dem Moment, in dem der Pflichtteilsanspruch vom Berechtigten geltend gemacht wird, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG. Entscheidend für den Tatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG ist mithin die Geltendmachung. Unter diesem Begriff wird das ernstliche Verlangen des Berechtigten auf Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs verstanden.[18] Der Berechtigte muss schriftlich, mündlich oder sonst durch schlüssiges Verhalten eindeutig zu erkennen gegeben haben, dass er auf der Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs besteht.[19]

 

Rz. 26

 

Praxishinweis

Der Pflichtteil sollte nicht vorschnell geltend gemacht werden, da eine Umkehr danach verschlossen ist. Ein Verzicht auf den bereits geltend gemachten Pflichtteil würde eine nochmalige Steuer auslösen, § 7 Abs. 1 ErbStG (Schenkung an den Erben).[20] Nach der Geltendmachung kann die Steuerbelastung auch nicht mehr durch einen Verzicht gegen Abfindung nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG gemindert werden.[21]

 

Rz. 27

Nach zutreffender Meinung kann das Finanzamt den Pflichtteilsberechtigten zwar auffordern, sich darüber zu erklären, ob er den Pflichtteil gegenüber den Erben geltend machen wolle oder geltend gemacht habe. Es kann den Steuerpflichtigen jedoch nicht zur Geltendmachung zwingen. Dem Pflichtteilsberechtigten steht es stets frei, ob er den Pflichtteil beanspruchen möchte und damit geltend macht oder ob er dies unterlässt.[22] Dies gilt auch zivilrechtlich und ist insoweit durch § 852 ZPO abgesichert.[23] Im bloßen Unterlassen der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs ist keine erbschaftsteuerliche Zuwendung zu sehen; dies regelt § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG ausdrücklich. Diese Regelung ist deklaratorisch.

 

Rz. 28

Zeitlich kann der Pflichtteil frühestens nach dem Todeseintritt des Erblassers geltend gemacht werden. Vorher besteht nur das abstrakte Pflichtteilsrecht. Das ist aber nicht Steuergegenstand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG. Erklärungen, Ankündigungen und Drohungen des Pflichtteilsberechtigten, die vor dem Ableben des Erblassers abgegeben wurden, sind daher in dem hier maßgeblichen Zusammenhang irrelevant. Dies folgt auch daraus, dass die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gegenüber dem Schuldner, also dem Pflichtteilsbelasteten, zu erfolgen hat. Dieser steht jedoch frühestens mit dem Todeseintritt fest.

 

Rz. 29

 

Praxishinweis

Die Möglichkeit, den genauen Zeitpunkt der Steuerentstehung durch Geltendmachung zu bestimmen, ist ein sehr wertvolles Gestaltungsmittel.[24] Bekanntlich können die Freibeträge alle zehn Jahre ausgeschöpft werden. Hat der Sohn im VZ 01 von seinem Vater 205.000 EUR bereits erhalten und verstirbt der Vater im VZ 09, so kann der Sohn bis zum Ablauf der Zehn-Jahres-Frist des § 14 ErbStG warten und dann erst den Pflichtteil geltend machen – vollständig steuerfrei.

[18] Meincke, ZErb 2004, 1 ff.; vgl. Kapp/Ebeling, ErbStG, § 3 Rn 211; Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 3 Rn 226.
[19] Vgl. RFH v. 19.4.1929 – VeA 908/28, RStBl 1929, 515.
[20] Ebenso Muscheler, ZEV 2001, 377, 378; Griesel, in: Daragan/Halaczinsky/Riedel, Praxiskommentar ErbStG und BewG, § 13 ErbStG Rn 85; Potsch, KÖSDI 2011, 17478, 17485; BFH v. 19.7.2006 – II R 1/05, ZEV 2006, 514 m. Anm. Messner.
[21] Wälzholz, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG, § 3 Rn 233; a.A. Viskorf, FR 1999, 664, 666, der § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG auch noch nach einer Geltendmachung anwenden will.
[22] Weinmann, in: Moench/Weinmann, ErbStG, § 9 Rn 15.
[23] Vgl. auch BGH NJW 1994, 1769, 1769; BGH NJW 1993, 2876; BGH NJW 1997, 2384; Kuchinke, NJW 1994, 1769 ff.; vgl. auch Muscheler, ZEV 2001, 377.
[24] Vgl. dazu auch das Beispiel bei den Ausführungen zum internationalen Erbschaftsteuerrecht beim Pflichtteil (siehe Rdn 192 ff.).

b) Beteiligte, Vertretung bei der Geltendmachung

 

Rz. 30

Die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs kann grundsätzlich nur durch den Pflichtteilsberechtigten selbst erfolgen. Er kann jedoch auch Dritte, wie seinen Rechtsanwalt, mit der Geltendmachung beauftragen. Es handelt sich dabei nicht um eine höchstpersönliche Handlung.

 

Rz. 31

Die Geltendmachung erfolgt grundsätzlich gegenüber dem Erben. Im Falle des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach § 2325 BGB i.V.m. § 2329 BGB kann sich die Geltendmachung aber auch gegen den Beschenkten richten, soweit dieser tatsächlicher oder vermeintlicher Schuldner des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist.

 

Rz. 32

Zwischenzeitlich ist die Frage aufgetaucht, ob eine Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs im erbschaftsteuerlichen Sinne auch dann vorliegt, wenn der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch auf sich übergeleitet hat und anschließend den Pflichtteil gegen den Erben durchzusetzen sucht.[25] Der BFH konnte diese Frage im zu entscheidenden Einzelfall offen lassen, da nicht festgestellt wurde, dass eine entsprechende Überleitung nach §...

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