Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflichtteilsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

Das Unterlassen der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs unterliegt selbst dann nicht der Gläubigeranfechtung, wenn der Berechtigte – zusammen mit dem späteren Erben – zum Zweck der Benachteiligung seiner Gläubiger den Erblasser dazu bewogen hat, einen anderen als Erben einzusetzen und ihm selbst auch das Pflichtteilsrecht grundlos zu entziehen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Unterlassen der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs unterliegt selbst dann nicht der Gläubigeranfechtung, wenn der Berechtigte – zusammen mit dem späteren Erben – zum Zweck der Benachteiligung seiner Geläubiger den Erblasser dazu bewogen hat, einen anderen als Erben einzusetzen und ihm selbst auch das Pflichtteilsrecht grundlos zu entziehen.

 

Normenkette

AnfG § 1; ZPO § 852 Abs. 1; BGB § 2303

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Urteil vom 11.06.1996)

LG Hamburg

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 2. Zivilsenat, vom 11. Juni 1996 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Den Klägern steht ausweislich eines vollstreckbaren Schuldtitels gegen D. v. R. eine Forderung von 45.836,99 DM zu. Dessen am 7. März 1993 verstorbene Mutter hat durch Testament vom 21. Juli 1992 die verklagte Ehefrau des Schuldners zur alleinigen Erbin eingesetzt und durch Nachtrag vom 28. September 1992 bestimmt, daß sie ihrem Sohn auch den Pflichtteil entziehe, „… weil er mit seinen betrügerischen Geschäften im Zusammenhang mit der H. Ltd. auch meine Gelder beiseite geschafft” habe. Der Schuldner ist durch Urteil des Landgerichts Stade vom 16. Mai 1994 wegen Untreue rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt worden, weil er an einem Kapitalanlagemodell mitgewirkt hat, bei dem eine Vielzahl von Anlegern geschädigt worden sind.

Die Kläger halten die Pflichtteilsentziehung mangels eines sie rechtfertigenden Grundes für unwirksam und haben den vermeintlichen Pflichtteilsanspruch des Schuldners gegen die Beklagte pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. Mit der Klage verlangen sie, unter anderem gestützt auf Gläubigeranfechtung, Begleichung der ihnen gegen den Schuldner zustehenden Forderung.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger den Klageanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Einen Pflichtteilsanspruch nach § 2303 BGB können die Kläger, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, trotz der Pfändung eines solchen Anspruchs und unabhängig davon, ob er dem Schuldner wirksam entzogen worden ist, nicht mit Erfolg gegen die Beklagte geltend machen. Die Pfändung war zwar trotz des Wortlauts des § 852 Abs. 1 ZPO, wonach der Pflichtteilsanspruch der Pfändung nur unterworfen ist, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist, zulässig (BGHZ 123, 183, 185 ff). Eine Verwertungsbefugnis ergibt sich daraus aber erst, wenn eine der in § 852 Abs. 1 ZPO genannten Voraussetzungen eingetreten ist. Das ist hier, wie in anderem Zusammenhang noch dargelegt wird, nicht der Fall.

2. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch nach den §§ 3,7 AnfG mit der Begründung verneint, anfechtbar seien nur solche Rechtshandlungen, die das Ausscheiden eines Gegenstandes aus dem Vermögen des Schuldners zur Folge hätten. Das Unterlassen der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs verhindere jedoch nur, daß das Vermögen des Schuldners vermehrt werde, denn vorher habe der Anspruch nicht ohne weiteres zu diesem Vermögen gehört. Die Revision meint demgegenüber, an einer Geltendmachung des Anspruchs durch den Schuldner fehle es nicht; denn unter den hier gegebenen Umständen liege in dessen Verhalten eine die Geltendmachung einschließende – unentgeltliche – Zuwendung an seine Ehefrau, die Beklagte.

Dieser Sichtweise kann nicht beigetreten werden. Der Pflichtteilsanspruch gehört zwar, wenn er, wie hier revisionsrechtlich zu unterstellen ist, nicht wirksam entzogen worden ist, vom Zeitpunkt des Erbfalls an zum – pfändbaren – Vermögen des Berechtigten (BGHZ 123, 183, 187); dazu bedarf es entgegen der vom Prozeßbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Revisionsverhandlung geäußerten Ansicht keiner besonderen, auf eine Testamentsanfechtung gestützten Klage. Trotzdem können die Gläubiger aber den Anspruch vor Eintritt der Voraussetzungen des § 852 Abs. 1 ZPO nicht zu ihrer Befriedigung verwerten, weil wegen der familiären Verbundenheit zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten allein diesem die Entscheidung darüber vorbehalten ist, ob der Anspruch gegen den Erben durchgesetzt werden soll (BGHZ 123, 183, 186). Dieses Entscheidungsrecht darf nicht durch Anwendung der Gläubigeranfechtungsvorschriften unterlaufen werden. Den Gläubigern ist es untersagt, auf das den Pflichtteil ausmachende Vermögen ohne den Willen des Berechtigten, den Wert dieses Vermögens zu realisieren, zuzugreifen; deshalb können sie diese Sperre auch nicht mit einem Gläubigeranfechtungsanspruch überwinden.

Die durch § 852 Abs. 1 ZPO aufgerichtete Schranke für den endgültigen – die Verwertung ermöglichenden – Gläubigerzugriff läßt sich nicht dadurch beseitigen, daß der Entschluß des Berechtigten, den Anspruch nicht geltend zu machen, in eine „Geltendmachung durch Zuwendung” des Pflichtteilswerts an den Erben umgedeutet wird. Die Revision meint, das Verhalten des Schuldners sei im vorliegenden Fall deswegen in diesem Sinne zu werten, weil nach dem der Revisionsentscheidung zugrunde zu legenden tatsächlichen Klagevorbringen der Schuldner seinerzeit – gemeinsam mit der Beklagten – durch Einwirkung auf die Erblasserin versucht habe, sich selbst vom Erblasservermögen fernzuhalten. Dieses hinsichtlich des Pflichtteils „testamentarisch” letztlich nicht erreichte Ergebnis habe nach Eintritt des Erbfalls dadurch verwirklicht werden sollen, daß der Schuldner es unterlassen habe, den ihm an sich zustehenden Anspruch geltend zu machen. Mag es indessen auch dem Willen des Schuldners entsprochen haben, daß seine Ehefrau wegen der ihn selbst bedrängenden Gläubiger das gesamte Vermögen der Erblasserin erhielt, so war dazu doch keine Willensbetätigung im Sinne einer „Geltendmachung” des Pflichtteilsanspruchs nötig. Die „Zuwendung” an die Beklagte ist entgegen der Ansicht der Revision nicht „testamentarisch” gescheitert, sondern auf rein erbrechtlichem Wege zustande gekommen. Auch wenn die Pflichtteilsentziehung unwirksam gewesen sein sollte, genügte schlichtes Untätigbleiben des Schuldners, um den Pflichtteilsanspruch für seine Gläubiger letztlich unerreichbar zu machen. Mit einer Abtretung des Anspruchs (vgl. dazu BGHZ 123, 183, 190) ist ein solches Unterlassen entgegen der Ansicht der Revision nicht zu vergleichen. Soweit der Schuldner – möglicherweise zusammen mit der Beklagten – den erbrechtlichen Übergang des Erblasservermögens auf die Beklagte beeinflußt haben sollte, bewegt sich dies außerhalb der Reichweite des Gläubigeranfechtungsrechts. Ebenso wie die Ausschlagung einer Erbschaft (vgl. § 9 Satz 1 KO) ist auch der Erbverzicht nicht anfechtbar (Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 29 Rdnr. 59; Kilger/Huber, AnfG 8. Aufl. § 1 Anm. III 2). Ob ein Verzicht auf einen bereits entstandenen Pflichtteilsanspruch, der vor Eintritt der Voraussetzungen des § 852 Abs. 1 ZPO erklärt wird, gläubigeranfechtungsrechtliche Ansprüche auslösen kann (so Jaeger/Henckel aaO), ist hier nicht zu entscheiden, weil es für einen solchen Verzicht an einer tatsächlichen Grundlage fehlt.

3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision schließlich dagegen, daß das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB verneint hat. Die Revision sieht ein sittenwidriges Verhalten im Sinne dieser Vorschrift, darin, daß die Beklagte „sich … trotz der Kenntnis der gegen ihren Ehemann ausgebrachten Arreste unter Entziehung auch des Pflichtteiles durch letztwillige Verfügung der Erblasserin als Alleinerbin (habe) einsetzen lassen” Außerdem soll nach ihrer Ansicht darin, daß der Schuldner nicht gegen die Pflichtteilsentziehung zugunsten seiner Ehefrau vorgegangen ist, zwischen ihm und der Beklagten ein kollusives Zusammenwirken liegen.

Letzteres trifft schon deswegen nicht zu, weil der gewünschte Erfolg durch schlichtes Unterlassen der Geltendmachung des Anspruchs herbeigeführt werden konnte. Zwar kann auch ein Unterlassen rechtlich bedeutsam sein, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht. Das ist jedoch bei der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nicht der Fall. Soweit es um die Beeinflussung der Erblasserin bei ihrer letztwilligen Verfügung geht, können die Kläger als mittelbar davon betroffene Gläubiger daraus auch unter dem Gesichtspunkt einer sittenwidrigen Schädigung keine Rechte für sich herleiten. Der Schuldner hätte, wie bereits erwähnt, auf die Erbschaft einschließlich des Pflichtteils verzichten oder sie ausschlagen können. Das wäre selbst wenn es mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht geschehen wäre, nicht anfechtbar gewesen (vgl. Jaeger/Henckel a.a.O. § 9 Rdnr. 9, 11 und § 29 Rdnr. 59). Dann kann es, sofern nicht weitergehende besondere Umstände vorliegen, auch nicht sittenwidrig sein, wenn er in anderer Weise die Erblasserin bewogen hat, ihn nicht nur zu enterben, sondern ihm auch den Pflichtteil zu entziehen. Ein solcher besonderer Umstand liegt hier nicht darin, daß die Beklagte an jener Beeinflussung der Erblasserin mitgewirkt haben soll und der Schuldner als ihr Ehemann möglicherweise an den Vorteilen des ererbten Vermögens teilhat. Das, was an diesem Gesamtverhalten zu mißbilligen ist, geht über die Gläubigerbenachteiligung nicht hinaus und rechtfertigt deshalb nicht die Anwendung des § 826 BGB.

 

Unterschriften

Brandes, Kreft, Stodolkowitz, Zugehör, Ganter

 

Fundstellen

Haufe-Index 1122697

NJW 1997, 2384

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1997, 1302

DNotZ 1998, 827

MDR 1997, 880

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