Rz. 25

In § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wird für die zulassungsfreie Berufung auf den Wert des Beschwerdegegenstands abgestellt.[51] Dieser ist begrifflich vom erstinstanzlichen Streitgegenstand und der Beschwer als solcher zu unterscheiden.[52] Mit dem Wert des Beschwerdegegenstands im Sinne des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist nach der Rechtsprechung des BGH der Wert der Beschwer gemeint, den der Berufungskläger mit dem Ziel ihrer Beseitigung zur Entscheidung durch das Berufungsgericht stellt.[53] Er bestimmt sich also durch den Teil der Beschwer, der Gegenstand des Berufungsantrags ist.[54] Ist die Hauptsache Gegenstand des Rechtsstreits, sind Prozesskosten bei der Bestimmung der Beschwer nicht zu berücksichtigen.[55] Zweitinstanzliche Klageerweiterungen und -änderungen sind ebenso unberücksichtigt zu lassen wie erstinstanzlich zu Recht nicht mehr berücksichtigte Klageerweiterungen nach Schluss der mündlichen Verhandlung.[56]

 

Rz. 26

 

Hinweis

In Ausnahmefällen ist die Berufung unabhängig von dem Wert der Beschwer zulässig. Um solche Ausnahmefälle handelt es sich:

bei der Zulassungsberufung nach § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO,
bei einer Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil gem. § 514 Abs. 2 S. 2 ZPO,
bei einer Anschlussberufung gem. § 524 ZPO.
 

Rz. 27

Bei Leistungsklagen ist zu differenzieren: Bei Zahlungsklagen ist grundsätzlich auf den zu- oder aberkannten Betrag abzustellen, auf den sich die mit der Berufung angestrebte Abänderung bezieht. Im Übrigen sind zahlreiche spezielle Fallkonstellationen zu beachten, wobei zunächst auf Sondervorschriften und anschließend auf das Interesse des Rechtsmittelklägers abzustellen ist, z.B.:

Wird einer von mehreren Klageanträgen durch Teilurteil abgewiesen und erklärt der Kläger mit der Berufungseinlegung insoweit die (Teil-)Erledigung, bemisst sich die Beschwer des Klägers nach seinem Kosteninteresse. Dieses ist nicht nach der Differenzrechnung, sondern dadurch zu ermitteln, dass der Streitwert des abgewiesenen Klageantrags ins Verhältnis zum Gesamtstreitwert gesetzt und die sich nach dieser Quote auf den abgewiesenen Antrag entfallende Kostenbelastung errechnet wird.[57]
Der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer teilweise abgewiesenen Klage gerichtet auf Zahlung eines bestimmten Betrags nebst Zinsen abzüglich bereits erfolgter Zahlungen kann grundsätzlich unter Berücksichtigung des § 367 Abs. 1 BGB ausgehend von einem Klageantrag, nach dem in Abzug gebrachte Zahlungen des Beklagten zunächst auf die Zinsen und erst danach auf die geltend gemachte Schmerzensgeld-Hauptforderung angerechnet werden sollen, zu bestimmen sein.[58]
Bei einem Anspruch auf Verschaffung von Eigentum oder Besitz ist nach § 6 ZPO der Wert der Sache maßgebend.
Die Beschwer einer Verurteilung zur Räumung bemisst sich nach § 8 ZPO.[59]
Wird eine Klage des Mieters gegen den Vermieter auf Zustimmung zur Tierhaltung in der gemieteten Wohnung abgewiesen, erfordert die Beurteilung, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes einer dagegen gerichteten Berufung die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigt, eine umfassende und individualisierte Betrachtung des auf die begehrte Tierhaltung in der Mietwohnung gerichteten Interesses des konkreten Mieters.[60]
 

Rz. 28

Besonderheiten ergeben sich auch für die Berechnung der Beschwer, wenn die Berufung gegen ein Urteil eingelegt werden soll, in dem über Klage und Widerklage entschieden worden ist. Grundsätzlich gilt hier ein Additionsrecht.

 

Rz. 29

 

Hinweis

Sind beide Parteien Rechtsmittelführer, weil Klage und Widerklage keinen Erfolg hatten, ist die Beschwer gem. § 5 ZPO für jede Partei getrennt zu ermitteln. Unterliegt eine Partei mit der Klage und der Widerklage, sind für die Frage der Beschwer beide Werte zusammenzurechnen.[61] Dies ergibt sich für den Berufungskläger, soweit er sich in der Rolle des Beklagten oder Widerbeklagten befindet, aus der materiellen Beschwer, die sich unabhängig von der Streitwertregelung berechnet; § 5 ZPO steht der Addition nicht entgegen.[62]

 

Rz. 30

Ein Additionsverbot ist für die Beschwer bei Teil- und Schlussurteilen zu berücksichtigen.

 

Rz. 31

 

Hinweis

Soweit die Beschwer aus einem einzelnen Teilurteil die 600-Euro-Grenze nicht übersteigt, kann der Berufungskläger nicht abwarten und die Beschwer aus mehreren Teilurteilen zusammenrechnen, weil das Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 ZPO ein Endurteil ist und als solches jeweils isoliert mit der Berufung angegriffen werden muss. Gemeinsam mit der Berufung gegen das Teilurteil kann jedoch auch Berufung gegen die Kostenentscheidung im Schlussurteil eingelegt werden, wenn sich dessen Kostenentscheidung auf das bereits mit der Berufung angefochtene Teilurteil bezieht.[63] Ist gegen das Teilurteil jedoch kein Rechtsmittel eingelegt worden oder kein Rechtsmittel mehr anhängig, scheidet auch die isolierte Berufung gegen die Kostenentscheidung im Schlussurteil nach herrschender Meinung aus.[64]

 

Rz. 32

Bei Auskunftsklagen muss differenziert werden zwischen der Beschwer desjenigen, der die Auskunft...

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