Rz. 560

Zur Mindestqualifikation, die für alle Aufsichtsratsmitglieder gilt, tritt eine jeweilige differenzierende Sonderqualifikation für einzelne Aufsichtsratsmitglieder hinzu (vgl. zur Sonderqualifikation als Financial Expert § 100 Abs. 5 AktG – "2 Finanzexperten"). Bei Aktiengesellschaften, die von öffentlichem Interesse nach § 316a S. 2 HGB sind, also insbesondere börsennotierte Aktiengesellschaften, muss mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf dem Gebiet Rechnungslegung und mindestens ein weiteres Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf dem Gebiet Abschlussprüfung verfügen. Die Erhöhung von einem Finanzexperten auf zwei Finanzexperten durch den Gesetzgeber erfolgte aufgrund des Falls "Wirecard" durch das FISG (Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität vom 3.6.2021, BGBl I, 1534). Die Zahl von zwei Finanzexperten gilt auch bei einem nur dreiköpfigen Aufsichtsratsgremium (vgl. Simons, NZG 2021,1429). In diesem Fall empfiehlt sich eine Aufstockung, um weitere Kompetenzen abzudecken.

 

Hinweis

1. Insbesondere kleine Aktiengesellschaften können auf Grundlage von § 95 S. 3 AktG die Mindestzahl der Mitglieder ihres Aufsichtsrats von drei Aufsichtsratsmitgliedern um eine beliebige Anzahl, beispielsweise auf vier oder fünf AR-Mitglieder, vergrößern.
2. Seit der Aktienrechtsnovelle vom 22.12.2015 (BGBl I 2015, 2565) ist nicht mehr eine Verdoppelung gleich auf sechs Aufsichtsratsmitglieder erforderlich, weil die Voraussetzung der Drei-Teilbarkeit entfallen ist.
3. Die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder muss nur noch dann durch drei teilbar sein, wenn dies zur Erfüllung mitbestimmungsrechtlicher Vorgaben erforderlich ist.

Zur Klarstellung: Eine vorhandene Sonderqualifikation, so wertvoll sie im Einzelfall auch sein mag, ersetzt nicht eine etwa fehlende Mindestqualifikation. Die auf Breite angelegte Mindestqualifikation bleibt unverzichtbare Voraussetzung eines jeden Aufsichtsratsmitglieds. Das Modell des BGH sieht nicht einen "Aufsichtsrat der Spezialisten" vor. Voraussetzung ist immer eine breite Basis-/Mindestqualifikation auf Basis der Rechtsprechung des BGH. Die Sonderqualifikationen, die daher nicht bei jedem Aufsichtsratsmitglied, wohl aber im Aufsichtsrat insgesamt vorhanden sein müssen, sind insbesondere auch für die Aufgaben in den Ausschüssen unverzichtbar. Aufsichtsräte mit Sonderqualifikation (Spezialkenntnissen) sind verpflichtet, diese in die AR-Arbeit einzubringen, da diese Spezialkenntnisse gerade der Grund für die Wahl in den Aufsichtsrat sind. Ansonsten besteht ein erhöhtes Haftungsrisiko (vgl. BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09). Die möglichst optimale Zusammensetzung der verschiedenen Aufsichtsratsausschüsse ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor effizienter Aufsichtsratsarbeit (vgl. Kunz, BOARD 2014, 100, 101).

 

Rz. 561

Für die vom Aufsichtsrat vorzunehmenden Vorstandsanstellungen/-bestellungen ist als Sonderqualifikation besondere Personalkompetenz, wie diagnostische Erfahrung für Vorstandsbeurteilungen und Gesamtevaluierung des Vorstands, erforderlich (vgl. Kunz, BOARD 2014, 100 ff., 102). Es ist eine stetige Herausforderung für die Aufsichtsräte, die zum Teil aufgrund der Bedeutung und des Schwierigkeitsgrads auch als "Königsdisziplin" bezeichnet wird, die jeweils geeigneten Vorstände zu finden (vgl. exemplarisch den gelungenen zielführenden Ansatz zu erfolgreichen Vorstandsbesetzungen von Kickinger/Ruegenberg/de Wall, BOARD 2021, 62 ff.). Wichtige Komponenten sind u.a. die Entwicklung von Auswahlkriterien, die "Passung" und ein strukturierter Auswahlprozess (vgl. Kickinger/Ruegenberg/de Wall, BOARD 2021, 62 ff., 63, 64).

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