Rz. 373

Die Gerichte für Arbeitssachen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Wer Arbeitnehmer i.S.d. ArbGG ist, bestimmt § 5 ArbGG (vgl. BAG v. 8.9.2015 – 9 AZB 21/15, juris Rn 12). Nach § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG gelten nicht als Arbeitnehmer die Mitglieder des Vertretungsorgans. Die Fiktion des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG – mit der Rechtsfolge der Zuständigkeit der Landgerichte – greift indes (nur) solange, wie der Geschäftsführer Mitglied des Vertretungsorgans ist. Solange keine Abberufung oder Amtsniederlegung (vgl. BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14) erfolgt ist, gilt die Fiktion ebenso für das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis (vgl. BAG v. 4.2.2013 – 10 AZB 78/12;). Nach der wirksamen Abberufung oder Amtsniederlegung endet allerdings die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG mit der Folge, dass der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten grundsätzlich eröffnet ist.

 

Rz. 374

Nach der Abberufung als Organmitglied sind daher grundsätzlich die Arbeitsgerichte für die Entscheidung über Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis des ehemaligen Organmitglieds zuständig (Orientierungssatz 1 der Richterinnen und Richter des BAG zu BAG v. 26.10.2012 – 10 AZB 60/12). Gleiches gilt für die Amtsniederlegung (vgl. BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14).

 

Rz. 375

Wann genau die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG mit Blick auf die entsprechenden Klageverfahren erlischt, hat das BAG in seiner Entscheidung vom 22.10.2014 unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden. Nach früherer Senatsrechtsprechung mussten die Voraussetzungen für das Eingreifen der Fiktion des § 5 Abs. 1. S. 1 ArbGG im Zeitpunkt der Zustellung der Klage vorliegen. War der Geschäftsführer zu diesem Zeitpunkt noch nicht abberufen, war nur der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Hieran hält der Senat nicht mehr fest. Das ausschließliche Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageerhebung eröffne die Möglichkeit der Manipulation durch die Gesellschaft. Nachträgliche zuständigkeitsbegründende Umstände seien vielmehr auch dann zu berücksichtigen, wenn ein zum Zeitpunkt der Klageerhebung vor dem Arbeitsgericht noch nicht abberufener Geschäftsführer vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtswegzuständigkeit abberufen wird oder selber das Amt niederlegt. Damit entfällt die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG. Die Tatsache der Abberufung oder Amtsniederlegung ist zwar zur Eintragung in das Handelsregister gem. § 39 Abs. 1 GmbHG anzumelden, darauf kommt es aber wegen der nur deklaratorischen Wirkung nicht an (vgl. BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14 zur Abberufung; BAG v. 3.12.14 – 10 AZB 98/14 zur Amtsniederlegung; LAG Hamm v. 13.3.2019 – 2 Ta 586/18, juris Rn 17 ff. Zustimmung).

 

Rz. 376

 

Taktischer Hinweis zur Amtsniederlegung

1. Mit der Möglichkeit der Amtsniederlegung (1. Schritt) hat es der Geschäftsführer selbst in der Hand, die Fiktion des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG, wonach er als Mitglied des Vertretungsorgans nicht als Arbeitnehmer gilt, zu beseitigen.
2. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist dann nicht bereits nach § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG ausgeschlossen.
3. Gleichwohl sind die Gerichte für Arbeitssachen nur zuständig (2. Schritt), wenn es sich um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG handelt.
4. Denn allein durch die Amtsniederlegung (oder Abberufung) wird das Anstellungsverhältnis nicht (automatisch) zum Arbeitsverhältnis und der Organvertreter nicht zum Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 S. 1 ArbGG oder zur arbeitnehmerähnlichen Person nach § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG.
5. Mithin ist grundsätzlich festzustellen, ob der Tätigkeit des Geschäftsführers materiell-rechtlich ein Arbeitsverhältnis oder ein freies Dienstverhältnis zugrunde gelegen hat (vgl. OLG Düsseldorf v. 19.7.2022 – 3 Ta 90/22, juris Rn 55).
 

Rz. 377

Ist der Geschäftsführer nicht mehr Geschäftsführer, sodass die Fiktion des § 5 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG nicht mehr greifen kann, sind daher für die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit in einem weiteren Schritt die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG zu prüfen, ob also eine bürgerliche Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber gegeben ist. Denn der bloße Wegfall der gesetzlichen Fiktion führt nicht automatisch zur Zuständigkeit der Arbeitsgerichte (vgl. BAG v. 8.2.2022 – 9 AZB 40/21, juris Rn 18; LAG Düsseldorf v. 5.10.2022 – 3 Ta 132/22, juris Rn 29). Mit der Abberufung als Geschäftsführer entfällt nur die bisherige gesetzliche negative Fiktion. Der rechtliche Charakter eines Anstellungsverhältnisses eines Organvertreters ändert sich nicht allein dadurch, dass er abberufen wird. Das Anstellungsverhältnis wird durch den Abberufungsakt nicht zum Arbeitsverhältnis und der Organvertreter nicht zur arbeitnehmerähnlichen Person (vgl. BAG v. 8.2.2022 – 9 AZB 40/21, juris Rn 18; BAG v. 21.1.2019 – 9 AZB 23/18, juris Rn 17). Daher ist nach einer A...

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