Rz. 687

Die Beendigung des Organverhältnisses durch Widerruf bedeutet wegen der Trennung der Rechtsverhältnisse (Trennungsprinzip) nicht automatisch die Beendigung des Anstellungsverhältnisses (vgl. Holthausen, NZG 2022, 731 ff.). Die Bestellung und die Anstellung hängen rechtlich nicht zwingend voneinander ab. Besonders sichtbar wird die Trennung der Rechtsverhältnisse in den Fällen der sog. Drittanstellung. wenn die organschaftliche Bestellung zum Vorstandsmitglied bei der Tochter-AG, die Anstellung hingegen bei der Konzern-Muttergesellschaft erfolgt. Von einer solchen Konstellation ist bei der AG abzuraten, da insb. § 76 AktG die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Vorstands – anders als beim Geschäftsführer der GmbH, der unter der Weisung der Gesellschafterversammlung steht – betont. Daher ist die rechtliche Zulässigkeit solcher Gestaltungen umstritten (vgl. zum Meinungsstand: Schmidt/Lutter/Seibt, § 84 Rn 26, vgl. ferner die Rspr. des 6. Senats des BAG zu Drittanstellungen von Organen in Konzernen, BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, NZA 2008, 168 = DB 2008, 355; vgl. zur Parallelproblematik beim GmbH-Geschäftsführer oben Rdn 305 ff.).

 

Rz. 688

Eine andere Variante, die Trennung der Rechtsverhältnisse zu durchbrechen, ist, wenn die Beendigung des Anstellungsvertrages an den Widerruf der Organbestellung gekoppelt ist. In einem solchen Fall bedarf es keiner gesonderten Kündigung mehr (vgl. BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, DB 1989, 1577 = NJW 1989, 2683; s. zur Parallelproblematik beim GmbH-Geschäftsführer Rdn 237 ff.).

 

Rz. 689

Muster 16.30: Koppelungsklausel – Widerruf der Organbestellung und Beendigung des Anstellungsvertrages

 

Muster 16.30: Koppelungsklausel – Widerruf der Organbestellung und Beendigung des Anstellungsvertrages

Sollte die Bestellung von Herrn/Frau _________________________ als Mitglied des Vorstandes der _________________________ AG vom Gesamtaufsichtsrat widerrufen werden, so endet damit auch automatisch der geschlossene Anstellungsvertrag.

 

Rz. 690

Eine solche Klausel bedeutet einen erheblichen Rechtsnachteil für das Vorstandsmitglied. Gleichwohl hat der BGH für den Vorstand der AG – anders als für den GmbH-Geschäftsführer – die Zulässigkeit von Koppelungsklauseln in älteren Entscheidungen grds. für zulässig angesehen (vgl. BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, DB 1989, 1577 = NJW 1989, 2683; BGH v. 11.5.1981, DB 1981, 1661). Es erscheint indes fraglich, ob der BGH diese Linie heute noch aufrechterhalten würde. Die AG entspricht seit der Einführung der mittelständischen AG (sog. kleine AG) nicht mehr allein dem früheren Bild der großen multinational/global aufgestellten AG (sog. große Publikums-AG) mit anderen Vorstandsprofilen, bei denen das Erkennen der Risiken einer Koppelungsklausel unterstellt wurde.

Die Praxis zeigt allerdings, dass selbst Konzernvorständen vielfach der Zusammenhang nicht klar ist und diese, wenn der Fall eintritt, "aus allen Wolken fallen" (vgl. a.A. Seyfarth, NZG 2022, 389, 393; vgl. ferner LG Essen v. 8.7.2015 – 42 O 4714 Rn 132 Kenntnis u. Verständnis von einer Koppelungsklause wird bei einem Bankvorstand erwartet). Es ist daher seit der Schuldrechtsreform für alle Vorstände von einer überraschenden Klausel i.S.v. § 305c BGB auszugehen. Die ansonsten bestehende Missbrauchsgefahr durch Koppelungsklauseln zeigt auch das Beispiel eines – leicht aussprechbaren – Vertrauensentzuges durch einen Alleinaktionär in der Hauptversammlung einer mittelständischen AG. Insofern ist die Dimension bei der mittelständischen AG eine völlig andere als bei der im DAX notierten Publikums-AG (vgl. ebenfalls krit. zur Zulässigkeit solcher Koppelungsklauseln, Holthausen, NZG 2022, 731 ff.; Grau, in: Semler/v. Schenk/Wilsing, § 11 Rn 238; Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809, 813; differenzierend Grumann/Gillmann, DB 2003, 770; zur AGB-Kontrolle von Vorstandsverträgen grds. Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337).

 

Rz. 691

Der BGH hat in den älteren Entscheidungen, in denen er die Zulässigkeit von Koppelungsklauseln (noch) bejaht hat, den Begriff der "automatischen Beendigung" in zeitlicher Hinsicht bereits relativiert. Der Widerruf der Bestellung bei einer Koppelungsklausel bewirke, soweit er wirksam vom Gesamt-Aufsichtsrat beschlossen wird (vgl. OLG Stuttgart v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211), dass das Anstellungsverhältnis mit der (kurzen) Frist des § 622 Abs. 1 S. 2 BGB ende. "Automatisch" bedeute indes nicht fristlos, da sonst das erforderliche Vorliegen der Voraussetzungen des § 626 BGB ausgehöhlt würde. Es gelten daher die gesetzlichen Mindestkündigungsfristen für die ordentliche Kündigung (vgl. BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, DB 1989, 1577 = NJW 1989, 2683).

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