Rz. 82

Der Arbeitnehmerbegriff erfordert weiterhin, dass die Arbeit im Dienst eines Anderen geleistet wird. Das BAG stellt hier wesentlich darauf ab, ob die Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbracht wird (BAG v. 9.10.2002 – 5 AZR 405/01, NJOZ 2003, 1578; BAG v. 25.8.2020 – 9 AZR 373/19, NJW 2020, 3802). Insoweit greift das BAG auf die in § 84 Abs. 1 S. 2 HGB enthaltenen Abgrenzungsmerkmale zwischen dem selbstständigen Handelsvertreter und dem abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten zurück. Soweit hier geregelt ist, dass derjenige selbstständig ist, der im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, sieht das BAG hierin einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch i.Ü. zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft heranzuziehen und auch in § 611a BGB als Kriterium bestimmt ist. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insb. darin, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, wobei dieses Weisungsrecht Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen kann (BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, DB 2008, 1575, 1576). Bei der Frage, in welchem Maß der Mitarbeiter persönlich abhängig ist, ist vor allem die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen. Denn abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Kriterien lassen sich nicht aufstellen. So gibt es eine Reihe von Tätigkeiten, die sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses (freien Mitarbeiterverhältnisses) erbracht werden können. Auch kann die Weisungsgebundenheit je nach Art der Tätigkeit unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Art der Tätigkeit kann es mit sich bringen, dass dem Dienstverpflichteten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und fachlicher Selbstständigkeit verbleibt. Für die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation können daher neben der Weisungsgebundenheit auch weitere Kriterien herangezogen werden. Für die Arbeitnehmerstellung spricht etwa, wenn der Dienstverpflichtete grds. seine ganze Arbeitskraft dem Dienstberechtigten schuldet. Demgegenüber ist für den Selbstständigen typisch, dass er nicht nur für einen Kunden, Mandanten, Patienten usw. arbeitet, sondern für mehrere. Für die Klärung der Arbeitnehmereigenschaft bedarf es daher einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles.

 

Rz. 83

Das klassische Abgrenzungskriterium der Weisungsgebundenheit verbunden mit im Einzelfall schwierigen Wertungsfragen erweist sich insb. bei der Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft in Grenzfällen der sog. Scheinselbstständigkeit vielfach als ungeeignet. Von Scheinselbstständigkeit wird dann gesprochen, wenn Erwerbstätige nach der Ausgestaltung ihrer Rechtsbeziehungen zwar wie Selbstständige behandelt werden sollen, tatsächlich jedoch wie abhängig Beschäftigte arbeiten und sich auch in ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit von diesen nicht unterscheiden. Zur Feststellung einer solchen Scheinselbstständigkeit sah § 7 Abs. 4 SGB IV a.F. noch eine Vermutungsregelung vor. Diese Vermutungsregelung ist durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 23.12.2002 (BGBl I, 4621) entfallen. Heute grenzt § 7 Abs. 1 SGB VI nach dem Merkmal des Arbeitnehmerbegriffs ab. Es empfiehlt sich, sorgfältig zu prüfen, ob der Betreffende freiwillig ein Unternehmerrisiko auf sich genommen hat (dann Selbstständiger) oder ob ihm ein Unternehmerrisiko aufgezwungen wurde (dann Arbeitnehmer). Die Übernahme des Unternehmerrisikos wird indiziell geprüft. Danach ist in folgenden Fällen die Arbeitnehmereigenschaft i.d.R. zu bejahen, obwohl der Betroffene im Vertrag als Selbstständiger bezeichnet wird:

Das Unternehmerrisiko wurde nicht freiwillig übernommen;
der Vertrag enthält keine ausgewogene Mischung aus Chancen und Risiken, sondern legt ihm nur unternehmerische Risiken ohne entsprechende Chancen auf;
der Betreffende verfügt über keine eigene Organisation oder eigenes Kapital;
der Betreffende nutzt Betriebsmittel seines Auftraggebers;
er beschäftigt keine eigenen Mitarbeiter;
er hat nur einen Vertragspartner, tritt also nicht selbst am Markt auf;
der Betreffende ist von seinem Auftraggeber wirtschaftlich abhängig.
Wegen weiterer Einzelheiten zur Abgrenzung des Arbeitnehmers vom Selbstständigen vgl. unten Rdn 748 ff.).

Für die Bewertung der Eingliederung in die betriebliche Arbeitsorganisation sind z.B. folgende Punkte hilfreich:

Einrichtung einer auf den Auftraggeber bestimmten E-Mail-Adresse,
Visitenkarten des Auftraggebers,
namentliche Benennung im Organigramm des Auftraggebers,
Nutzung von Sozialeinrichtungen des Auftraggebers,
eigenes Büro im Betrieb des Ratgebers,
Gestellung von Arbeitskleidung durch Auftraggeber,
telefonische Erreichbarkeit über den Auftraggeber.

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