Rz. 225

Sind Versicherte auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, weil sie aus gesundheitlichen Gründen keinen Pkw fahren dürfen, kann die Wegefähigkeit von Bedeutung sein, also die Fähigkeit, Fußwege von der Wohnung zur Haltestelle sowie vom Zielpunkt des öffentlichen Verkehrsmittels zum Betrieb und zurück bewerkstelligen zu können. Im Sozialrecht setzt eine (volle) Erwerbsminderung grundsätzlich voraus, dass ein Versicherter Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (d.h. innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß – ggf. mit Hilfsmitteln, wie Gehstützen – und ohne unzumutbare Beschwerden nicht bewältigen kann.[523] Es spricht vieles dafür, diese Rechtsprechung auch im Bereich der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung zu übernehmen.[524] Jedenfalls wird man keinen strengeren Maßstab anlegen können.

 

Rz. 226

Mitunter sind Versicherte auch nicht in der Lage, den Vergleichsberuf unter seinen spezifischen Bedingungen zu verrichten; sei es, dass sie über das betriebstolerable Maß hinausgehende Arbeitspausen bzw. nicht vorhandene, behinderungsgerecht ausgestattete Arbeitsplätze benötigen oder, weil gesundheitsbedingt ein stellenüblicher ständiger Schichtwechsel nicht zumutbar ist.[525]

Könnte der Versicherte nur aufgrund einer "sozialen Geste", also eines Entgegenkommens seines früheren Arbeitgebers bei diesem noch eingesetzt werden, kommt eine Verweisung auf eine derartige Tätigkeit jedenfalls solange nicht in Frage, wie diese nicht tatsächlich ausgeübt wird.[526] Es ist nicht zulässig, auf Arbeitsplätze zu verweisen, die ein Versicherter nicht nach seiner Eignung und seinen Fähigkeiten sondern nur aufgrund des Wohlwollens Dritter zu erlangen vermag.[527]

[524] So Rüther, NVersZ 1999, 497, 502.
[525] BGH VersR 2001, 89: Arbeitgeber muss keinen Spezialmonitor stellen; so auch Rüther, NVersZ 1999, 497, 502.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge