Rz. 32

In der Phase des vorläufigen Insolvenzverfahrens ist die Rechtslage besonders unsicher. Viele Beteiligte, selbst Richter, Gerichtsvollzieher und Anwälte lassen sich durch den Gerichtsbeschluss zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (siehe Muster unter Rdn 145) fälschlicherweise zu der Annahme verleiten, es handele sich um den Eröffnungsbeschluss und der (vorläufige) Verwalter sei allein verfügungsberechtigt.

 

Rz. 33

Die Beschlüsse über die Anordnung von vorläufigen Maßnahmen im Eröffnungsverfahren (Bestellung vorläufiger Insolvenzverwalter, Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots, Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts etc.) werden im Internet auf dem Portal "www.insolvenzbekanntmachungen.de" veröffentlicht, sodass die Vertragspartner – darunter fallen auch die Arbeitnehmer – sich informieren können, wer ab wann die Verfügungsbefugnis hat.

 

Praxishinweis

In den Beschlüssen werden von den Gerichten auch heute immer noch handwerkliche Fehler gemacht, z.B. wird manchmal vergessen, dem Unternehmer die entsprechende Befugnis zu entziehen, bevor sie auf den vorläufigen Verwalter übertragen wird. In diesem Fall könnten theoretisch beide nebeneinander verfügungsberechtigt sein. Hier ist unbedingt auf Korrektur durch das Gericht zu drängen, damit keine widersprüchlichen Verfügungen in der Welt sind.

Der Arbeitnehmer bzw. sein Anwalt werden also sogleich den Beschluss des Insolvenzgerichts anfordern bzw. im Internet aufrufen und genau durchlesen müssen, um herauszufinden, ob der oder die Handelnde überhaupt befugt war, eine Kündigung auszusprechen, den Sozialplan zu unterschreiben o.Ä., und wer ggf. verpflichtet ist, Verdienstbescheinigungen für den Antrag auf Arbeitslosengeld sowie Zeugnisse etc. auszustellen.

Die Recherche auf dem Portal funktioniert nicht immer einwandfrei, daher sollte abwechselnd etwas mit dem Firmennamen und der HRA- bzw. der HRB-Nummer und dem Registergericht herumprobiert werden, um die Trefferquote zu erhöhen. Im Zweifel können auch sämtliche Veröffentlichungen des – potenziellen – Insolvenzgerichts der letzten Wochen angezeigt werden.

Da die Einsetzung eines vorläufigen Sachwalters keine Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Geschäftsführers bzw. des Vorstands bedeutet, werden die Beschlüsse nach §§ 270b und 270d InsO nicht im Internet veröffentlicht.

Allerdings ist bei mittelgroßen und großen Unternehmen (vgl. § 267 HGB) gem. § 22a InsO die Bildung eines vorläufigen Gläubigerausschusses vorgeschrieben, in den auch die Aufnahme eines Arbeitnehmervertreters verpflichtend ist, sodass hier dennoch die Arbeitnehmerschaft eingebunden wird und sich informieren kann.

I. Kündigungsbefugnis

 

Rz. 34

Wird – wie meist – nur ein schwacher vorläufiger Verwalter bestellt, so behält der Schuldner vollumfänglich die Arbeitgeberrolle mit sämtlichen Rechten und Pflichten. Diese sind i.d.R. nur durch einen Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Alt. 2 InsO insoweit eingeschränkt, als Verfügungen über das schuldnerische Vermögen nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam sind. Alle Handlungen dagegen, die keinen Verfügungscharakter haben, dürfen allein von dem alten Management vorgenommen werden und sind insoweit auch wirksam.

 

Praxishinweis

Bisweilen wird vom Gericht auch ein schwacher vorläufiger Verwalter bestellt, dem im Beschluss pauschal die "Arbeitgeberbefugnisse" übertragen werden.

Eine Ausnahme gilt nur, wenn dem schwachen vorläufigen Verwalter im gerichtlichen Bestellungsbeschluss die Arbeitgeberbefugnis zugesprochen wird (vgl. Muster unter Rdn 148).[37]

 

Rz. 35

Für die arbeitsrechtliche Praxis bedeutet dies:

Das alte Management ist in sämtlichen Angelegenheiten nach wie vor zuständig, der Geschäftsführer bzw. der Schuldner übt nach wie vor die Arbeitgeberfunktion aus.
Im Fall eines angeordneten Zustimmungsvorbehalts bedarf das alte Management für den wirksamen Ausspruch einer Kündigung gleichwohl der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen ist unter einer Verfügung ein Rechtsgeschäft zu verstehen, durch das der Verfügende unmittelbar auf ein Recht einwirkt, indem er es aufhebt, überträgt, belastet oder inhaltlich verändert.[38] Unter Rückgriff auf diese allgemeinen Maßstäbe ist nach der Rechtsprechung des BAG auch bei einer Kündigung von einer Verfügung auszugehen, da durch sie unmittelbar auf das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingewirkt wird.[39]
Nach Auffassung des BAG ist sogar die höchstpersönlich erteilte, schriftliche Zustimmung erforderlich. Eine Zustimmung durch eine beauftragte Person ("pro abs.") reiche nicht, mit der Folge, dass die Kündigung unwirksam ist. Die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist in schriftlicher Form beizufügen, andernfalls kann sie nach § 182 Abs. 3 BGB i.V.m. § 111 S. 2 BGB zurückgewiesen werden.[40]
Finanzielle Ansprüche aus einer fehlerhaften Kündigung oder Sozialplanansprüche werden aber trotz korrekter Zustimmung des vorläufigen Verwalters nicht Masseverbindlichkeiten, s...

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