Rz. 90

Zusätzlich zur Kündigung kommt es vor, dass der Verwalter Arbeitnehmer von ihrer Arbeitsleistung freistellt. Dies wird er immer dann tun, wenn er vorübergehend den Lohn nicht weiterzahlen kann. Der Arbeitnehmer verliert zwar dadurch nicht seinen Lohnanspruch; denn dieser wandelt sich gem. § 615 BGB in einen Verzugslohnanspruch um. Durch die Freistellung wird jedoch erreicht, dass er einstweilen Arbeitslosengeld im Rahmen der sog. Gleichwohlgewährung beantragen und vorzeitig auf Arbeitssuche gehen kann. Seine Ansprüche gehen insoweit gem. § 115 SGB X auf die Arbeitsverwaltung über. Die Differenz zu seinem Arbeitslohn verbleibt dem Arbeitnehmer als Anspruch gegenüber der Insolvenzmasse.

 

Rz. 91

Die Rspr. geht mit diesem Instrumentarium inzwischen großzügig um, wenn ein sachlicher Grund für die Freistellung nachgewiesen wird. Zwar hat der Arbeitnehmer grundsätzlich einen Beschäftigungsanspruch auch in der Insolvenz; wird jedoch seine Arbeitsleistung – etwa mangels Auftragsvolumens – bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht benötigt, so wird der Insolvenzverwalter von der Beschäftigungspflicht befreit. Er ist bei der Freistellung jedoch an die Grenzen des billigen Ermessens gem. § 315 Abs. 2 BGB gebunden.[87] Stellt der Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens frei, stellen die Ansprüche der Arbeitnehmer sonstige Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO dar. Nach der Rechtsprechung des BAG[88] begründet der Insolvenzverwalter Neumasseverbindlichkeiten i.S.d. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO bei Unterlassung der frühestmöglichen Kündigung nach Masseunzulänglichkeitsanzeige, und zwar auch bei freigestellten Arbeitnehmern. Der Rang einer Forderung auf Arbeitsvergütung als Masseverbindlichkeit wird durch die nach der Anzeige der (drohenden) Masseunzulänglichkeit zu treffende Entscheidung des Insolvenzverwalters bestimmt, ob er das Arbeitsverhältnis unverzüglich kündigt oder ob er es (zunächst) fortsetzt. Als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO gilt daher die Arbeitsvergütung für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt wird.[89]

[87] LAG Hamm v. 27.9.2000 – 2 Sa 1178/00, ZIP 2001, 435; Regh/Fanselow/Jakubowski/Kreplin, § 4 Rn 196, ein generelles insolvenzspezifisches Freistellungsrecht des Insolvenzverwalters ist umstritten, wird aber vielfach verneint, vgl. etwa LAG Hessen v. 10.4.2017 – 7 Sa 650/16, NZI 2017, 902; Wroblewski, NJW 2011, 347 ff.
[88] BAG v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, ZIP 2004, 1323, dazu EWiR 2004, 815 (Bork); Bayreuther, ZIP 2008, 573; zur Abgrenzung der Alt- und der Neumasseverbindlichkeiten siehe auch: BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 22/05, ZInsO 2006, 541.
[89] Dazu im Einzelnen Arens/Brand, § 1 Rn 267 ff.

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