Rz. 38

Die VR versuchen vielfach ein außergerichtlich eingeholtes Gutachten in den Prozess einzubringen und die darin getroffenen Aussagen für die Gerichtsentscheidung heranzuziehen. Zweck ist es, eine gerichtliche Beweisaufnahme entbehrlich zu machen. Dieses Vorgehen wird von vielen Gerichten grundsätzlich abgelehnt und ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben. Das Parteigutachten ist kein Urkundsbeweis für die Richtigkeit der darin getroffenen ärztlichen Stellungnahme, sondern nur dafür, dass sich der Sachverständige entsprechend geäußert hat.[22]

 

Rz. 39

Teilweise wird die Nutzung des Gutachtens als qualifizierter Parteivortrag gewertet und auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet. Dafür kommen Fallkonstellationen in Betracht, in denen sich die Beweisfrage alleine schon aufgrund dieses qualifizierten Parteivortrags beantworten lässt. Die Verwertung des außergerichtlich eingeholten Gutachtens soll dann ohne weitere Beweisaufnahme möglich sein.[23] Dazu ist es erforderlich, dass beide Parteien sich über die im Gutachten festgehaltenen Befunde einig sind und diese Feststellungen auch nicht substantiiert angegriffen haben.[24]

 

Rz. 40

Die Verwertung eines außergerichtlich eingeholten Parteigutachtens weist grundsätzliche Schwierigkeiten auf, denn gerade dieses Gutachten hat nicht zur Einigung zwischen VN und VR geführt. Andererseits ist es auch schwer verständlich, wenn ein von kompetenten Sachverständigen erstelltes Gutachten durch einfaches Bestreiten seitens des VN nicht verwertet werden könnte. Im Rahmen eines gerichtlichen Gutachtens muss sich der vom Gericht bestellte Gutachter mit den Aussagen des Parteigutachtens auseinandersetzen. (vgl. Rn 43) Für eine alleinige Verwendung eines Parteigutachtens ohne weitere Beweisaufnahme sind strenge Maßstäbe anzulegen, damit der Grundsatz des rechtlichen Gehörs für beide Parteien gewahrt bleibt.

 

Rz. 41

Folgende Voraussetzung wird man hierfür fordern müssen:

Anforderungen an das Gutachten:

Das Gutachten befasst sich ausführlich und auf wissenschaftliche Weise mit allen angemeldeten Gesundheitsbeeinträchtigungen der VP.
Es werden sämtliche relevanten, bei der Gutachtenerstellung vorliegenden Befunde und Diagnosen berücksichtigt.
Alle in Betracht kommenden medizinischen Fachgebiete sind berücksichtigt.
Das Gutachten ist frei von Widersprüchen

Voraussetzung auf Klägerseite

Fehlendes substantiiertes Angreifen des Gutachtens, z.B. durch neue, dem Gutachten widersprechende medizinische Unterlagen oder Aufzeigen von Fehlern im Gutachten
Fehlende geeignete Beweisantritte (kein Ausforschungsbeweis)

Anforderungen an das Gericht:

Das Gericht muss den Kläger vorab mit einem Hinweisbeschluss darüber informieren, dass ein substantiierter Vortrag fehlt und kein geeigneter Beweisantritt erfolgt ist
Der Kläger muss darauf hingewiesen werden, dass im Falle einer unterlassenen Nachbesserung des Klagevorbringens das Gericht das Gutachten als qualifizierten Parteivortrag heranziehen wird
Das Gericht muss zumindest in Grundzügen darlegen, warum die Ausführungen des Parteigutachtens (nach Aktenlage) nicht zu beanstanden sind.
 

Rz. 42

Unter diesen engen Voraussetzungen ist im Einzelfall die Verwertung eines Parteigutachtens ohne weitere Beweisaufnahme möglich.[25]

 

Hinweis

Kann einem umfassenden, außergerichtlichen Gutachten kein sinnvolles Argument entgegenhalten werden, dann sollte man vor Klageerhebung mit dem Mandanten über den Sinn bzw. die geringen Erfolgsaussichten der Klage sprechen und ggf. davon abraten.

Ansonsten muss genau darauf geachtet werden, die Klage hinreichend substantiiert vorzutragen.

[22] Veith/Gräfe-Marlow, § 8 Rn 172.
[23] BGH v. 11.5.1993 – IV 243/92, VersR 93, 899f.; OLG Köln v. 22.3.2000 – 5 U 218/99, VersR 2001, 755 f.; OLG Köln v. 28.7.2004 – 5 U 2/04, VersR, 2005, 679.
[24] LG Aurich v. 25.4.1990 – 2 O 1292/89, VersR 91, 214.
[25] So auch OLG Köln v. 16.5.2011 – 20 U 157/10 n.V.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge