Rz. 34

Zu den Gesamtumständen, die bei Eingriffen in den Kernbereich der Scheidungsfolgen in die Prüfung einzubeziehen sind, gehören die subjektiven Elemente der Verhandlungsgleichheit, deren Nichtbeachtung zu vermeidbaren Risiken führt und in der Praxis oftmals erst der Auslöser einer kritischen Betrachtung von Eheverträgen ist.[24] Problematisch sind insoweit Fälle, in denen

die belastete Partei keine ausreichende Gelegenheit hatte, den Vertrag zu prüfen und sich darüber beraten zu lassen
die belastete Partei sich bei Abschluss des Vertrags in einer psychischen Ausnahmesituation befindet, die Druck erzeugt, sich auf belastende Regelungen einzulassen, beispielsweise bei Schwangerschaft oder drohender Ausweisung, wenn die Eheschließung von dem Abschluss des Ehevertrags abhängig gemacht wird[25]
die belastete Partei sprachlich oder intellektuell nicht in der Lage ist, den Regelungsgehalt zu verstehen[26]
die benachteiligte Vertragspartei in sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit von der begünstigten Partei steht[27]
Veranlassung zum Vertragsschluss sonstige Lebenssituationen geben, in denen die ungleiche Verhandlungsposition besonders ins Gewicht fällt
ideelle Werte wie die Aufrechterhaltung der Ehe oder die Gewährung von Umgang mit den Kindern durch vermögens- oder unterhaltsrechtliche Gegenleistungen "kommerzialisiert" werden.[28]
 

Rz. 35

Allein der Umstand, dass der Ehevertrag in einer Drucksituation (beispielsweise Schwangerschaft) geschlossen wird, ist für sich allein noch kein ausschlaggebender Grund für die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung, jedoch ein gewichtiges Indiz.[29] Die Verhandlungsdauer kann ein Kriterium für die Wirksamkeit eines Vertrags sein.[30] Nicht nur im Interesse der Partnerschaftlichkeit und Fairness, sondern auch im Interesse der Streitvermeidung und der Rechtssicherheit sollte Wert darauf gelegt werden, in den Vertragsverhandlungen für bestmögliche "Waffengleichheit" zu sorgen. Im Interesse der Rechtssicherheit sollten in der Präambel des Vertrags die Aspekte festgehalten werden, die ein subjektives Ungleichgewicht der Vertragsparteien ausschließen. Hier kommen in Betracht Hinweise auf die Verhandlungsdauer, die Berater, die beide Seiten konsultiert haben, und gegebenenfalls weitere Details aus dem Verlauf der Vertragsverhandlungen.

[24] Vgl. Checkliste bei Bergschneider/Wolf, NZFam 2018, 162, 165.
[25] BGH FamRZ 2005, 1444, 1447; BGH FamRZ 2006, 1359 = NJW 2006, 3142; BGH FamRZ 2008, 2011 = NJW 2008, 2426.
[26] BGH, Urt. v. 31.10.2012 – XII ZR 129/10, FamRZ 2013, 195 m. Anm. Bergschneider = NJW 2013, 380; BGH, Beschl. v. 27.5.2020 – XII ZB 447/19, FamRZ 2020, 1347 = NZFam 2020, 772 m. Anm. Milzer = FamRB 2020, 344 m. Anm. Schwonberg.
[27] BGH FamRZ 2005, 1444, 1447; BGH FamRZ 2006, 1359 = NJW 2006, 3142; BGH FamRZ 2008, 2011 = NJW 2008, 2426.
[28] Bergschneider, Verträge in Familiensachen, Rn 157, 158.
[29] BGH FamRZ 2006, 1359; weiter gehend wohl OLG Oldenburg, FamRZ 2004, 545 m. Anm. Bergschneider = NJW-RR 2004, 650, das aufgrund des Bedürfnisses der Schwangeren, einen größtmöglichen Schutz für sich und das Kind zu erreichen, regelmäßig eine Zwangslage als gegeben ansieht.
[30] OLG Düsseldorf FamRZ 2005, 216; OLG Hamm FamRZ 2007, 232.

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