Rz. 26

Der Bundesgerichtshof hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 11.2.2004[14] die Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle von Eheverträgen folgendermaßen strukturiert: Es gibt keinen allgemeinen, abstrakten Maßstab für die Beurteilung, ob ein Ehevertrag unwirksam ist (§ 138 BGB) oder die Berufung auf alle oder einzelne vertragliche Regelungen gegen Treu und Glauben verstößt (§ 242 BGB). Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtschau der getroffenen Vereinbarungen, der Gründe und Umstände ihres Zustandekommens sowie die beabsichtigte und verwirklichte Gestaltung des ehelichen Lebens.

Ehegatten sind grundsätzlich in der Gestaltung der wirtschaftlichen Grundlage ihrer Ehe frei und berechtigt, familienrechtliche Ansprüche auf Unterhalt, Versorgungsausgleich und Zugewinn auszuschließen. Es gibt keinen gesetzlichen, unantastbaren Mindestschutz.

 

Rz. 27

Die Vertragsfreiheit darf aber nicht dazu führen, den Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen beliebig zu unterlaufen. Zu beanstanden ist eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung, die für den belasteten Ehegatten bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar ist. Die Belastungen des Ehegatten wiegen dabei umso schwerer und bedürfen einer umso genaueren Prüfung der die Belastung rechtfertigenden Belange des anderen Ehegatten, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung gesetzlichen Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.[15]

 

Rz. 28

Zu diesem Kernbereich gehören in dieser Rangfolge:

Unterhalt wegen Kindesbetreuung und Anschlussunterhalt nach Ende der Kindesbetreuung einschließlich Altersvorsorgeunterhalt
Alters- und Krankheitsunterhalt
Versorgungsausgleich
nachrangig: Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit einschließlich Altersvorsorgeunterhalt
weiter nachrangig: Aufstockungs- und Ausbildungsunterhalt.
 

Rz. 29

Regelungen über den Güterstand fallen nicht in den Kernbereich, da auch der Grundsatz der ehelichen Solidarität es nicht gebietet, den anderen Ehegatten an der Vermögensentwicklung teilhaben zu lassen, was auch die gesetzlich in § 1408 BGB ausdrücklich vorgesehen Möglichkeit der Vereinbarung von Gütertrennung voraussetzt. Der Bundesgerichtshof ist der Auffassung, dass auch die Gleichwertigkeit von Familien- und Erwerbsarbeit keine bestimmte Strukturierung der ehelichen Vermögenssphäre gebiete.[16] Vielmehr sieht es der Bundesgerichtshof als Ausprägung der Vertragsfreiheit der Eheleute an, von dem Leitbild abzuweichen, dass Familien- und Erwerbsarbeit als gleichwertig anzusehen sind, und den beiderseitigen Beitrag zur Verwirklichung der ehelichen Lebensverhältnisse unterschiedlich zu gewichten. Allerdings darf der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen nicht beliebig unterlaufen werden.[17]

 

Rz. 30

Der Richter hat zu prüfen, in welchem Ausmaß objektiv ein Missverhältnis zwischen den gesetzlichen Ansprüchen und den im Vertrag geregelten Ansprüchen eines Ehegatten besteht. Liegt ein solches Missverhältnis objektiv vor, kann die Vereinbarung gemäß § 138 BGB nichtig sein oder es kann dem Verbot der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) widersprechen, sich auf die vertragliche Bestimmung zu berufen. Das objektive Missverhältnis allein genügt aber noch nicht. Es muss auch geprüft werden, ob dieses Missverhältnis nach den Umständen des Einzelfalls zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung eines Ehegatten führt und ob dies Ausdruck einer Disparität in den Verhandlungspositionen ist:

 

Rz. 31

Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle ist zu prüfen, ob die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr – und zwar losgelöst von der künftigen tatsächlichen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse – wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise zu versagen ist und an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB). Erforderlich ist dabei eine Gesamtwürdigung, die auf die individuellen Verhältnisse beim Vertragsschluss abstellt, insbesondere also auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe sowie auf die Auswirkungen für die Ehegatten und für die Kinder. Subjektiv sind die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen, die den begünstigten Ehegatten zu seinem Verlangen nach der ehevertraglichen Gestaltung veranlasst und den benachteiligten Ehegatten bewogen haben, diesem Verlangen zu entsprechen. Regelungen können sittenwidrig sein, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil für den anderen Ehegatten durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die b...

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