Rz. 166

In der Lebensversicherung können wegen der langen Laufzeit und der damit verbundenen Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung oder in manchen Fällen auch wegen der Unkenntnis des tatsächlichen Umfangs des versicherten Risikos Vertragsänderungen erforderlich werden. Dies gilt daneben auch für Fälle der Änderung gesetzlicher Regelungen oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Insoweit besteht für die Versicherer zunächst immer die Möglichkeit einer einzelvertraglichen Vereinbarung mit jedem Versicherungsnehmer gem. § 311 Abs. 1 BGB. Dies bedeutet für den Versicherer jedoch einen immensen Verwaltungs- und Kostenaufwand und führt höchstwahrscheinlich zu unterschiedlichen Vertragsausgestaltungen, da die Änderung von der Zustimmung des Versicherungsnehmers abhängig ist. Hierdurch würde letztendlich die Rechtssicherheit und die nach § 138 Abs. 2 VAG gebotene Gleichbehandlung aller Versicherungsnehmer gefährdet.[182] Ist Zweck der Änderung, die dauernde Erfüllbarkeit der Verträge weiterhin zu gewährleisten, vermag ohnehin nur eine alle betroffenen Versicherungsverträge erfassende Regelung dieses Ziel zu erreichen. Erforderlich sind daher Regelungen, die Vertragsänderungen ohne Mitwirkung des Versicherungsnehmers möglich machen. Auswege bietet in bestimmten Fällen das Recht des Versicherers zur Vertragsanpassung bei Verletzung der Anzeigepflicht nach § 19 VVG, das Recht zur Leistungsanpassung wegen unrichtiger Altersangabe nach § 157 VVG, das Recht zur Prämien- und Leistungsanpassung gem. § 163 VVG und das Recht zur Bedingungsanpassung gem. § 164 VVG. Für den besonderen Ausnahmefall der Anpassung der Versicherungsbedingungen von Versicherungsverträgen mit Vertragsschluss vor dem 1.1.2008 (sog. Altverträgen) an das neue VVG 2008 enthält Art. 1 Abs. 3 EGVVG eine Sonderregelung.

1. Vertragsänderungen aufgrund Gesetzes

 

Rz. 167

Änderungen eines Lebensversicherungsvertrages, die ohne Mitwirkung des Versicherungsnehmers erfolgen (können), sind in den §§ 19, 157, 163 und 164 VVG sowie für den Sonderfall der Anpassung der AVB von Altverträgen an das neue VVG in Art. 1 Abs. 3 EGVVG vorgesehen.[183]

[183] Vgl. auch Rdn 638 ff. zu der im Rahmen des neuen § 167 VVG vorgesehenen gesetzlichen Option des Versicherungsnehmers, die Umwandlung seiner Versicherung in eine nach § 851 c ZPO pfändungsgeschützte Versicherung zu verlangen. Zur Anpassung der AVB von Altverträgen an das neue VVG wird auf die Kommentierung in der Vorauflage verwiesen.

a) Prämien-/Leistungsanpassung

 

Rz. 168

Die Vorschrift des § 163 Abs. 1 VVG sieht in bestimmten Fällen die Möglichkeit einer Prämienanpassung durch den Versicherer vor.[184] Eine Prämienanpassung durch den Versicherer setzt voraus, dass sich der Leistungsbedarf nicht nur vorübergehend und nicht voraussehbar gegenüber den Rechnungsgrundlagen der vereinbarten Prämie geändert hat und, dass die nach den berichtigten Rechnungsgrundlagen neu festgesetzte Prämie angemessen und erforderlich ist, um die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsleistung zu gewährleisten. Schließlich muss ein unabhängiger Treuhänder die Voraussetzungen für die Änderung überprüft und bestätigt haben. Die Voraussetzungen einer Prämienanpassung entsprechen damit der in § 172 Abs. 1 VVG a.F. enthaltenen Regelung; Änderungen im Wortlaut dienen lediglich der Verdeutlichung.[185] Das Recht zur Prämienanpassung ist gem. § 163 Abs. 1 S. 2 VVG ausgeschlossen, wenn die Versicherungsleistungen bereits zum Zeitpunkt der Erst- oder Neukalkulation unzureichend kalkuliert waren und ein ordentlicher und gewissenhafter Aktuar dies insbesondere anhand der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren statistischen Kalkulationsgrundlagen hätte erkennen müssen. Die Mitwirkung des Treuhänders entfällt gem. § 163 Abs. 4 VVG, wenn die genannten Änderungen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedürfen.[186] Ein Kündigungsrecht nach § 19 Abs. 6 VVG steht dem Versicherungsnehmer bei einer Prämienanpassung nach § 163 Abs. 1 VVG nicht zu, da diese Vorschrift sich lediglich auf die Vertragsänderung gem. § 19 Abs. 4 S. 2 VVG bezieht.

 

Rz. 169

Macht der Versicherer von seinem Recht zur Prämienanpassung Gebrauch, kann der Versicherungsnehmer gem. § 163 Abs. 2 S. 1 VVG verlangen, dass anstelle der Erhöhung der Prämie die Versicherungsleistung entsprechend herabgesetzt wird. Mit dieser Regelung wird dem Interesse derjenigen Versicherungsnehmer entsprochen, die bei einer Erhöhung der Prämie ihren Lebensversicherungsvertrag nicht weiterführen könnten.[187]

 

Rz. 170

Da bei einer prämienfreien Versicherung eine Anpassung der Prämie an den geänderten Leistungsbedarf nicht möglich ist, räumt § 163 Abs. 2 S. 2 VVG dem Versicherer bei prämienfreien Versicherungen das Recht ein, unter den Voraussetzungen des § 163 Abs. 1 VVG eine Herabsetzung der Versicherungsleistung vorzunehmen. Da auch bei Versicherungen gegen Einmalbeitrag eine Anpassung der Prämie an den geänderten Leistungsbedarf nicht möglich ist, gilt § 163 Abs. 2 S. 2 VVG bei Versicherungen gegen Einmalbeitrag analog.[188...

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