Rz. 395

Zur Feststellung einer Anzeigepflichtverletzung ist zunächst der Inhalt der Anzeigepflicht zu bestimmen. Anzeigepflichtig sind alle dem Versicherungsnehmer bekannten gefahrerheblichen Umstände i.S.v. § 19 VVG, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat. Als anzeigepflichtiger Umstand kommen objektive und subjektive Gegebenheiten in Betracht sowie sog. indizierende Umstände, die lediglich Rückschluss auf das zu tragende Risiko zulassen.[578] Ein subjektiver Umstand in der Lebensversicherung kann beispielsweise die Suizidabsicht sein.[579] Ein Beispiel für einen indizierenden Umstand stellt Bluthochdruck dar.[580]

 

Rz. 396

Gefahrerheblich sind solche Umstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben (§ 19 Abs. 1 S. 1 VVG). Ob ein Umstand im Einzelfall gefahrerheblich ist, hängt von den Grundsätzen ab, von denen sich der Versicherer bei seiner Risikoprüfung leiten lässt.[581]

 

Rz. 397

Der Versicherungsnehmer muss gem. § 19 Abs. 1 S. 1 VVG nur diejenigen Umstände anzeigen, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat.[582] Umstände, nach denen der Versicherer nicht ausdrücklich gefragt hat, müssen durch den Versicherungsnehmer nicht angezeigt werden und können keine Rechte des Versicherers nach § 19 VVG begründen.[583] Eine "spontane Anzeigepflicht" gibt es nach neuem Recht grundsätzlich nicht mehr (Ausnahme: Arglistige Täuschung).[584] Die Nachfrage des Versicherers nach einem bestimmten Umstand begründet die Vermutung dafür, dass dieser Umstand für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, erheblich ist. Daneben muss der Umstand jedoch auch noch objektiv gefahrerheblich sein.[585]

 

Rz. 398

Das Risiko der Fehleinschätzung, ob ein Gefahrumstand für den Entschluss des Versicherers erheblich ist, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, liegt – mit der Ausnahme der arglistigen Täuschung durch Verschweigen i.S.d. § 22 VVG – beim Versicherer.[586] Eine arglistige Täuschung durch Verschweigen setzt voraus, dass eine entsprechende Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers besteht.[587] Eine solche Aufklärungspflicht besteht allenfalls in Ausnahmefällen. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn der nicht erfragte Umstand einerseits offensichtlich gefahrerheblich, andererseits aber so selten und fernliegend ist, dass es verständlich und nicht vorzuwerfen ist, wenn der Versicherer nicht danach gefragt hat.[588]

 

Rz. 399

Hinsichtlich der Frage, ob ein Umstand objektiv gefahrerheblich ist, ist eine Beurteilung aus der Sicht des Versicherers mit Rücksicht auf dessen jeweilige Annahmepraxis erforderlich.[589] ­Dabei kann der Versicherer zunächst anführen, dass alle Umstände, nach denen er in Textform gefragt hat, für ihn gefahrerheblich sind. Bestreitet der Versicherungsnehmer jedoch die Ge­fahrerheblichkeit eines bestimmten Umstandes, trifft den Versicherer grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast, dass ein Umstand gefahrerheblich ist.[590] Der Versicherer muss die Gefahrerheblichkeit eines Umstandes nur dann nicht darlegen, wenn dessen Gefahrerheblichkeit "auf der Hand" liegt.[591] Das ist der Fall, wenn es sich von selbst versteht, dass jeder sachgerecht arbeitende Versicherer diesen Umstand in seine Entscheidung einbeziehen wird.[592]

 

Rz. 400

Als "auf der Hand" liegende Gefahrerheblichkeit werden in der Lebensversicherung ­beispielsweise folgende Umstände angesehen:[593] alkoholbedingte Leberschädigung;[594] starke Alkoholabhängigkeit;[595] Gebrauch von Heroin;[596] über zwei Jahre andauernder, nahezu täglicher Konsum von Haschisch;[597] regelmäßiger Konsum von Haschisch;[598] ärztlich behandelter Bluthochdruck;[599] arterielle Verschlusserkrankung;[600] ernste Herzerkrankung;[601] über einen längeren Zeitraum hinweg auftretende, ärztlich behandelte Herzbeschwerden;[602] eingehende ärztliche Untersuchung wegen Herzbeschwerden;[603] coronare Herzerkrankung mit Herzinfarkt vor ca. zwei Jahren;[604] chronische Gastritis;[605] stationärer Krankenhausaufenthalt mit den Befunden Adipositas permagna; Hyperlipidämie; arterielle Hypertonie; Nikotinabusus, drastisch erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen;[606] (noch) symptomfreie HIV-Infektion;[607] reaktive Depression;[608] Selbstmordversuch mit mehrmonatiger stationärer und daran anschließender mehrjähriger ambulanter psychotherapeutischer Behandlung;[609] erhebliche und schon länger andauernde psychische Probleme mit wiederkehrender Suizidneigung;[610] rezidivierendes malignes Melanom am linken Oberarm bei gleichzeitigen Veränderungen der Lymphknoten;[611] Krebserkrankung und zwar unabhängig davon, ob die Krankheit zum Zeitpunkt der ­Antragstellung ausgeheilt war oder noch bestand;[612] dreiwöchiger Kuraufenthalt wegen eines psychovegetativen Erschöpfungszustandes;[613] Verschweigen der Diagnosen Alopezie, multiple Leberhämangiome, Hypercholesterinanämie, Arteriosklerose, Milzzyste, Sk...

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