1. Allgemeines

 

Rz. 29

Der ordentliche Pflichtteilsanspruch und der Pflichtteilsergänzungsanspruch sind zwei selbständige und voneinander unabhängige Ansprüche. Der Pflichtteilsberechtigte des ordentlichen Pflichtteilsanspruchs ist i.d.R. auch Gläubiger des Pflichtteilsergänzungsanspruchs. Voraussetzung für die Pflichtteilsergänzungsberechtigung ist aber nicht, dass dem Berechtigten auch tatsächlich ein ordentlicher Pflichtteilsanspruch zusteht. Maßgeblich ist vielmehr, dass er im konkreten Erbfall zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehört. Wie sich aus § 2326 S. 1 BGB ergibt, kann der Pflichtteilsberechtigte einen Ergänzungsanspruch auch dann verlangen, wenn er unter den genannten Voraussetzungen einen ihm hinterlassenen Erbteil annimmt.

 

Rz. 30

Ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung kann daher auch dann bestehen, wenn der Pflichtteilsberechtigte nicht durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen wurde.[48] Voraussetzung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist nicht das Vorliegen einer letztwilligen Verfügung, die einen ordentlichen Pflichtteilsanspruch nach § 2303 BGB begründet.[49] Es ist daher zwischen Pflichtteilsberechtigung und tatsächlichem Pflichtteilsanspruch zu unterscheiden.[50] So behält der Pflichtteilsberechtigte, der eine Erbschaft ausschlägt, den Anspruch auf den Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB[51] ebenso wie der ergänzungsberechtigte Erbe bei Nichtausschlagung der Erbschaft seinen Ergänzungsanspruch. Der ergänzungspflichtige Erbe hat sich lediglich nach § 2326 S. 2 BGB den "Mehrwert" (des Erbteils) auf den Ergänzungsanspruch anrechnen zu lassen.[52] Zur Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs unter Berücksichtigung des § 2326 BGB siehe ausführlich § 7 Rdn 198 ff.

[48] BGH NJW 1973, 995.
[49] BGH MDR 1961, 491 = FamRZ 1961, 272.
[50] BGH MDR 1961, 491 = FamRZ 1961, 272.
[51] BGHZ 28, 177.
[52] Johannsen, WM 1970, 236.

2. Die Doppelberechtigung des Ergänzungsberechtigten

 

Rz. 31

Auf der anderen Seite folgte hieraus bisher nicht, dass der Personenkreis der Berechtigten des ordentlichen Pflichtteilsanspruchs und des Pflichtteilsergänzungsanspruchs immer übereinstimmen mussten. Nach früherer Rechtsprechung des BGH war ein an sich Pflichtteilsberechtigter nur dann auch Gläubiger eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs, wenn er zum Zeitpunkt der Schenkung, der für den Pflichtteilsergänzungsanspruch maßgeblich ist, auch schon zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehört hat (sog. Doppelberechtigung).[53] Mit Urteil vom 23.5.2012[54] entschied der BGH unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung zur Theorie der Doppelberechtigung, dass Voraussetzung für das Bestehen eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht ist, dass die Pflichtteilsberechtigung bereits im Zeitpunkt der Schenkung bestand. Zur Begründung beruft sich der BGH zum einen auf den Wortlaut und zum anderen auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Gegen die Theorie der Doppelberechtigung spreche der Sinn und Zweck des Pflichtteilsrechts, die Mindestteilhabe naher Angehöriger am Vermögen des Erblassers sicherzustellen. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der im Erbfall Pflichtteilsberechtigte auch schon im Zeitpunkt der Schenkung pflichtteilsberechtigt war. Bei Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtsprechung würde es zu einer Ungleichbehandlung von Abkömmlingen des Erblassers kommen. Das Bestehen eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs wäre im Ergebnis vom Zufall abhängig. Vor dieser Entscheidung des BGH stand z.B. Kindern des Erblassers ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht zu, wenn sie vom Erblasser erst nach einer für den Pflichtteilsergänzungsanspruch relevanten Schenkung adoptiert wurden.[55] Gleiches galt für diejenigen Kinder, die erst nach der den Pflichtteilsergänzungsanspruch auslösenden Schenkung geboren wurden.

 

Rz. 32

Fraglich ist, wie es sich zukünftig mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch eines Ehepartners verhält, der im Pflichtteilsrecht grundsätzlich anders behandelt wird wie ein Abkömmling, vgl. § 2325 Abs. 3 BGB.[56] Nach der bisherigen Theorie von der Doppelberechtigung stand ihm ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nur hinsichtlich der vom Erblasser nach der Heirat getätigten Schenkungen zu.[57] Zur Aufgabe der Theorie zur Doppelberechtigung vgl. Bonefeld, ZErb 2012, 225 ff.

[53] BGH ZEV 1997, 373; BGHZ 59, 210.
[55] Rohlfing, Erbrecht, § 5 Rn 198.
[56] Vgl. Bonefeld, ZErb 2012, 225.
[57] Keller, ZEV 2000, 268.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge