Rz. 54

Gerade in Fällen eher plötzlich auftretenden Pflegebedarfs und des damit einhergehenden zeitkritischen Organisationsaufwands und wegen der Komplexität der Regelungsmaterie wird von Arbeitnehmerseite aus oft übersehen, welche negativen sozialversicherungsrechtlichen Folgen die Inanspruchnahme einer Pflegezeit nach sich ziehen kann.[40]

 

Rz. 55

Wegen des ruhenden Arbeitsverhältnisses verliert der Beschäftigte im Falle einer vollständigen Freistellung zu Pflegezwecken im Grundsatz zumindest übergangsweise auch seinen vollständigen sozialversicherungsrechtlichen Schutz. Wegen fehlender Rentenversicherungsbeiträge reduziert sich sein Rentenanspruch. Die arbeitslosenversicherungsrechtlichen Folgen sind wegen des erweiterten Bezugszeitraums nicht so gravierend. Am wichtigsten wird für den Beschäftigten sein Kranken- (und Pflege-)Versicherungsschutz sein. Fällt er nicht ausnahmsweise auf eine Familienversicherung zurück, etwa weil der Ehegatte gesetzlich krankenversichert ist, kommt jedenfalls nach Ablauf des Nachversicherungszeitraums von einem Monat (§ 19 Abs. 2 S. 1 SGB V) nur eine freiwillige Weiterversicherung in Betracht. Diese Möglichkeit nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V unterliegt aber weiteren Voraussetzungen, wozu insbesondere eine Vorversicherungszeit von mindestens 24 Monaten in den letzten fünf Jahren oder zwölf ununterbrochenen Monaten unmittelbar vor Beginn der Pflegezeit zählt. Vor allem hat der Beschäftigte während der Pflegezeit die Beiträge allein zu tragen; schon wegen des ruhenden Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitgeber nicht in der Pflicht. Der Beitrag berechnet sich je Kalendertag mindestens nach einem Neunzigstel der monatlichen Bezugsgröße, § 240 Abs. 4 S. 1 SGB V.[41]

 

Rz. 56

Die Folgen treffen an sich nur den Beschäftigten, der die volle Freistellung in Anspruch nimmt, so dass sie im Zusammenhang dieses Buchs (Teilzeittätigkeiten) nicht eingehender erläutert werden sollen. Vergleichbares gilt allerdings, wenn dem Arbeitnehmer zwar in der Pflegeteilzeit noch ein Gehalt verbleibt, das Arbeitsverhältnis also nicht vollständig ruht, wenn das Gehalt aber während der Teilzeittätigkeit unter die 450-Euro-Grenze der geringfügigen Beschäftigung rutscht. In diesem Fall erlangt der Arbeitnehmer während der Pflegeteilzeit den sozialversicherungsrechtlichen Status eines geringfügig Beschäftigten.[42]

 

Rz. 57

Für vormals von der Krankenversicherungspflicht befreite (privat krankenversicherte) Arbeitnehmer kann das wegen der Pflegeteilzeit verminderte Gehalt wegen Unterschreitens der Pflichtversicherungsgrenze zur Krankenversicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (und zur entsprechenden Pflegeversicherungspflicht) führen. Allerdings lässt sich dies durch einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Regel verhindern, § 8 Abs. 1 Ziff. 2a SGB V. Die Befreiung setzt gemäß § 8 Abs. 2 SGB V voraus, dass der Beschäftigte eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nachweisen kann, im Zweifel seine private Krankenversicherung. Der Antrag ist innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht zu stellen, wobei die Befreiung nur dann auf den Beginn der Versicherungspflicht zurückwirkt, wenn seit diesem Zeitpunkt noch keine Leistungen in Anspruch genommen worden sind. Der Beitragszuschuss des Arbeitgebers zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung verringert sich wegen der Teilzeittätigkeit allerdings (sofern er nicht bei Gutverdienern dennoch über der Beitragsbemessungsgrenze liegen sollte).

 

Rz. 58

Der Gesetzgeber hat die Probleme erkannt und seit kurzem zumindest teilweise für einen Ausgleich gesorgt. So können Beschäftigte in Pflegezeit oder Pflegeteilzeit nun auf Antrag Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung erhalten; Einzelheiten ergeben sich aus § 44a Abs. 1 SGB XI. Erfasst ist der Fall, dass die Beschäftigten wegen vollständiger Freistellung oder wegen Unterschreitens der Geringfügigkeitsgrenze aus der Kranken- und Pflegeversicherungspflicht herausfallen und eine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung oder vergleichbare Versicherungen in Anspruch nehmen wollen oder der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V unterliegen. Rentenversicherungsbeiträge zum Ausgleich der durch die übergangsweise Teilzeittätigkeit erlittenen Rentennachteile kann der pflegende Beschäftigte unter den Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB XI von der zuständigen Pflegekasse erhalten. Das setzt nach §§ 44 Abs. 1 S. 1, 19 SGB XI aber voraus, dass der Beschäftigte einen Pflegebedürftigen mindestens mit Pflegegrad 2 in seiner häuslichen Umgebung wenigstens zehn Stunden wöchentlich pflegt, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche; erwerbsmäßige Pflege ist ausgeschlossen.

[40] Zu den sozialversicherungsrechtlichen Nebenwirkungen von Pflegezeit und Familienpflegezeit ausführlich Brose NZS 2012, 499 ff.; eine Zusammenfassung findet sich außerdem etwa bei ErfK/Gallner § 1 PflegeZG Rn 3, jeweils auch mit zahlreichen weiteren Nachweis...

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