Rz. 12

Ebenso wie der pflichtteilsberechtigte Erbe hat der überlebende Ehegatte beim Güterstand der Zugewinngemeinschaft ein sogenanntes "taktisches" Ausschlagungsrecht. Im Unterschied zu § 2306 BGB steht dem Ehegatten nach § 1371 Abs. 3 BGB das Ausschlagungsrecht auch dann zu, wenn der Erbteil nicht durch Anordnung von Beschränkungen und Beschwerungen belastet ist. Wird der überlebende Ehegatte gesetzlicher Miterbe, dann kann er es hierbei belassen und eine konkrete Geltendmachung des ehegüterrechtlichen Zugewinnausgleichs scheidet aus (§ 1371 Abs. 1 BGB). Er hat aber auch die Möglichkeit, die Erbschaft auszuschlagen und den Pflichtteil nach §§ 1931, 2303 Abs. 2 BGB sowie den konkreten Zugewinnausgleich zu verlangen.

 

Rz. 13

Der Pflichtteil des Ehegatten berechnet sich in diesem Fall nach dem nicht erhöhten Erbteil des Ehegatten gemäß § 1371 Abs. 2 Hs. 2 BGB (§ 1371 Abs. 3 BGB = sog. kleiner Pflichtteil).[13] Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Zugewinnausgleich eine Nachlassverbindlichkeit darstellt und sich die Pflichtteile nur vom Restwert des Nachlasses errechnen.[14]

 

Rz. 14

 

Beispiel

Erblasser E hinterlässt seine Frau F und seine Kinder A, B und C. Der Erblasser hat ein Vermögen von 200.000 EUR. Zum Zeitpunkt der Eheschließung hatte weder der Erblasser noch seine Frau F ein Vermögen. Die 200.000 EUR unterliegen voll dem Zugewinnausgleich. Zum Zeitpunkt des Todes hat die Frau F kein eigenes Vermögen. E hat keine Verfügung von Todes wegen errichtet. Die Ehefrau F schlägt die Erbschaft aus und macht ihren konkreten Zugewinnausgleich und ihren Pflichtteilsanspruch geltend.

Die Ehefrau F erhält aus der Erbschaft insgesamt 112.500 EUR. Sie hat einen konkreten Zugewinnausgleich in Höhe von 100.000 EUR. Ihr kleiner Pflichtteil berechnet sich nach dem um die Nachlassverbindlichkeiten (hier der Zugewinnausgleich) gekürzten Nachlass in Höhe von 100.000 EUR. Der nicht erhöhte gesetzliche Erbteil nach § 1931 Abs. 1 BGB beträgt ¼, der Pflichtteil somit ⅛. Der (kleine) Pflichtteil von F beträgt demnach ⅛ aus 100.000 EUR, also 12.500 EUR. Hätte die Ehefrau F nicht ausgeschlagen, dann stünde ihr ein Erbteil von ½ und somit nur 100.000 EUR zu.

 

Rz. 15

Wird der überlebende Ehegatte aufgrund Verfügung von Todes wegen Erbe, so ergeben sich folgende Möglichkeiten:

Hat der überlebende Ehegatte durch Testament einen Erbteil oder ein Vermächtnis erhalten, welches kleiner ist als die Hälfte seines nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten gesetzlichen Erbteils (großer Pflichtteil),[15] dann kann er gemäß §§ 2305 Abs. 1, 2307 Abs. 1 BGB einen Zusatzpflichtteil auf die Hälfte des erhöhten gesetzlichen Erbteils verlangen.[16] Er kann aber auch die Erbschaft ausschlagen und den konkreten Zugewinn in Verbindung mit dem kleinen Pflichtteil geltend machen.[17]

 

Rz. 16

 

Beispiel

Der Erblasser E hinterlässt seine Frau F und seine zwei Kinder A und B. E hat in einem Testament seine Kinder als Erben zu jeweils 2/5 und seine Frau F als Erbin zu 1/5 eingesetzt. Die Eheleute lebten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Ein Zugewinnausgleichsanspruch der F besteht nicht. E hinterlässt ein Vermögen in Höhe von 20.000 EUR. Soll F die Erbschaft annehmen oder ausschlagen?

Aufgrund testamentarischer Anordnung steht der Ehefrau F 1/5 zu. Die Frau F hat aber einen Pflichtteilsanspruch von ¼ (Pflichtteil nach dem nach § 1371 BGB erhöhten Erbteil). Sie kann somit gemäß § 2305 Abs. 1 BGB einen Zusatzpflichtteil in Höhe von 1.000 EUR verlangen (Differenz zwischen ¼ und 1/5). Insgesamt erhält sie somit ihren Erbteil in Höhe von 4.000 EUR und den Zusatzpflichtteil von 1.000 EUR. Schlägt die Ehefrau F ihren Erbteil von 1/5 aus, so könnte sie ihren konkreten Zugewinnausgleich und den kleinen Pflichtteil geltend machen. Ein Zugewinnausgleich steht ihr hier nicht zu. Der kleine Pflichtteil errechnet sich aus dem nicht erhöhten Erbteil gemäß § 1931 Abs. 1 BGB. Dieser beträgt ¼, der Pflichtteil beträgt demnach ⅛ von 20.000 EUR = 2.500 EUR.

Im Ergebnis ist der F zu raten, den Erbteil anzunehmen und ihren Zusatzpflichtteil geltend zu machen, da sie bei einer Ausschlagung des Erbes wertmäßig schlechter gestellt wäre.

Schlägt der pflichtteilsberechtigte Erbe bzw. Vermächtnisnehmer die Erbschaft bzw. das Vermächtnis nicht aus, hat er gemäß §§ 2305 S. 2, 2307 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB ihn treffende Beschränkungen und Beschwerungen i.S.v. § 2306 BGB zu tragen.

 

Rz. 17

Ist der überlebende Ehegatte hingegen enterbt worden, so bleibt ihm nur die Möglichkeit, den konkreten Zugewinnausgleich und den kleinen Pflichtteil zu verlangen.[18] Er hat keinen Anspruch auf den großen Pflichtteil.[19]

 

Rz. 18

 

Beispiel

Der Erblasser E hinterlässt seine Frau F und seine beiden Kinder A und B. E hat in einem Testament sein Kind A zu 3/5 und sein Kind B zu 2/5 zu Miterben eingesetzt. Seine Frau F ist enterbt. Seinem Freund X hat er ein Vermächtnis in Höhe von 10.000 EUR vermacht. Die Eheleute lebten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Ein Zugewinnausgleichsanspruch der F besteht nicht. E hinterlässt ei...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge