Rz. 56

Nach der Verweisung des § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG gelten für die in § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG aufgezählten Bereiche bei Familienstreitsachen die Allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung und die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten entsprechend. Die Vorschrift gilt gemäß § 270 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 FamFG entsprechend für Lebenspartnerschaftssachen die Ansprüche aus dem lebenspartnerschaftlichen Güterrecht (§ 269 Abs. 1 Nr. 10 FamFG) und sonstige Lebenspartnerschaftssachen (§ 269 Abs. 2 FamFG) zum Gegenstand haben.

Es sind also grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung, d.h. §§ 1 bis 252 ZPO und die Vorschriften über das Verfahren vor den Landgerichten, d.h. §§ 253 bis 494 a ZPO entsprechend anwendbar. Bereits aus dem Wortlaut der Verweisungsnorm, dem allgemeinen Inhalt der ZPO-Vorschriften auf die verwiesen wird und den anwendbaren FamFG-Vorschriften, lassen sich mehrere Grundsätze ableiten:

Es handelt sich bei Familienstreitsachen und den korrespondierenden Lebenspartnerschaftssachen trotz ihrer systematischen Einordnung als originäre FamFG-Verfahren um weitgehend der ZPO unterliegende Streitverfahren. Die Verweisung auf die ZPO-Vorschriften ist sachlich zutreffend, trägt sie doch den sachlichen Besonderheiten der erfassten kontradiktatorischen Verfahren Rechnung. Es handelt sich aber zugleich um Streitverfahren, die im Gegensatz zu reinen ZPO-Verfahren durch die vorrangigen spezielleren Regelungen der §§ 113 Abs. 3, 114, 115, 116 Abs. 1 und Abs. 3, 117, 118, 119, 120 Abs. 1 und Abs. 2 FamFG erhebliche Modifikationen erfahren.
Die Verweisung erfasst ausdrücklich nicht die ZPO-Vorschriften der §§ 495 bis 510 b ZPO über das Verfahren vor den Amtsgerichten, wiewohl gemäß § 23a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GVG für Familiensachen in erster Instanz stets die Amtsgerichte sachlich zuständig sind. Allerdings ist § 495 Hs. 2 Alt. 3 ZPO dennoch entsprechend anzuwenden, d.h. die Vorschriften über das Verfahren vor den Landgerichten werden insoweit von den spezielleren Vorschriften über das amtsgerichtliche Verfahren verdrängt, als sich Abweichungen aus der Verfassung der Amtsgerichte ergeben.[78] So vereinigt der Amtsrichter in sich die Funktionen des Prozessgerichts und des Vorsitzenden,[79] auch ist § 45 Abs. 2 ZPO entsprechend anwendbar.[80]
Die Verweisung gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG auf die Vorschriften der ZPO erfolgt nicht "statt" der gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG nicht anwendbaren FamFG-Vorschriften, vielmehr "gelten" die allgemeinen ZPO-Vorschriften und die ZPO-Vorschriften über das Verfahren vor den Landgerichten entsprechend. Die Verweisung des § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG erfasst deshalb auch ZPO-Vorschriften mit Regelungsgegenständen, die § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG nicht erfasst, das heißt auch solche ZPO-Vorschriften für die es in den für nicht anwendbar erklärten Teilen des FamFG kein Gegenstück gibt. So bezieht sich die Verweisung auf die Urteilsvorschriften der ZPO, obwohl gemäß § 116 Abs. 1 FamFG durch Beschluss entschieden wird.[81]
 

Rz. 57

 

Praxistipp

Die Geltung der ZPO-Vorschriften hat deshalb insbesondere auch zur Folge, dass nicht die Offizialmaxime, sondern die Dispositionsmaxime gilt. Die Entscheidung über Einleitung, Gegenstand und Beendigung des Verfahrens obliegt allein und ausschließlich den Beteiligten, da die Verfügungsfreiheit der Beteiligten über den Verfahrensgegenstand der Verfügungsfreiheit über private Rechte, der materiellrechtlichen Privatautonomie, entspricht. Das Verfahrensrecht setzte sich dazu in Widerspruch, wollte es den Beteiligten im Prozess diese Freiheit nehmen.[82] Es gilt zudem der Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz, nicht der eingeschränkte Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 26 FamFG. Das Alternativpaar Untersuchungs- und Verhandlungsgrundsatz bezieht sich ausschließlich auf die Tatsachenseite des Verfahrens bzw. Prozesses.[83] Es beantwortet die Frage, wer für die Entscheidungsgrundlage verantwortlich ist. Nach dem bei Familienstreitsachen geltenden Verhandlungsgrundsatz ist es Aufgabe der Beteiligten, den tatsächlichen Verfahrensstoff und die Beweismittel beizubringen.

 

Rz. 58

Die Verweisungsvorschrift gilt auch dann nicht für reine FamFG-Familiensachen, wenn über diese als Folgesachen zusammen mit der Scheidungssache verhandelt und entschieden wird. Es sind die allgemeinen Regeln des Buchs 1 des FamFG anwendbar, sofern sich nicht aus dem Zwang zur einheitlichen Verhandlung und Entscheidung etwas anderes ergibt.[84] So besteht nicht nur gemäß § 114 Abs. 2 FamFG in allen Familiensachen vor dem Bundesgerichtshof Anwaltszwang; vielmehr müssen sich die Ehegatten vor dem Amtsgericht-Familiengericht-und dem Oberlandesgericht in Ehesachen und sämtlichen Folgesachen – d.h. nicht nur dann, wenn es sich bei der Folgesache um eine Familienstreitsache handelt, sondern auch, wenn es sich bei der Folgesache um eine reine FamFG-Familiensache handelt – von einem Rechtsanwalt vertreten lassen.[85] Aus der Verpflichtung ...

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