Rz. 24

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Erreichen eines Punktestandes ist der Zeitpunkt, zu dem die Zuwiderhandlungen begangen wurden ("Tattagsprinzip").[32] Begründet wird das mit der Einwirkungsmöglichkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 3 S. 1 StVG a.F. auf den Betroffenen. Gleichzeitig wird damit auch das Hinauszögern der Rechtskraft wegen der neuesten Tat irrelevant, um so das Erreichen einer Punkteschwelle zu verhindern. Die andere Ansicht, die auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Ahndung abstellte ("Rechtskraftprinzip"),[33] ist nach den Entscheidungen des BVerwG zugunsten des Tattagsprinzips nicht mehr zu halten.[34] Allerdings macht das "Tattagsprinzip" den Vollzug nicht einfacher: Es muss nicht nur geprüft werden, wie der Punktestand nach den rechtskräftig geahndeten Zuwiderhandlungen ist, sondern auch zusätzlich, wie sich eine begangene, aber noch nicht rechtskräftig geahndete Tat auf den Punktestand auswirkt. Das birgt bei den Behörden ein erhebliches Fehlerpotential mit sich.[35]

 

Rz. 25

 

Praxistipp

In der anwaltlichen Beratung ist es entscheidend, sich über den Punktestand des Betroffenen im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme der Behörde genau zu informieren. Auch wenn das im Einzelfall bei einer Vielzahl von Eintragungen schwierig sein mag, so muss Schritt für Schritt bei jeder neuen Eintragung der Punktestand ermittelt werden, andererseits aber jedes Mal auch die Auswirkung einer Tilgung.

 

Rz. 26

 

Beachten Sie

Die Schwierigkeiten, die Sie bei der Berechnung des Punktestandes haben, hat auch die Behörde! Je komplizierter eine Berechnung ist, desto eher kann sie fehlerhaft sein. Um die Richtigkeit der Berechnung der Behörde zu prüfen, baut Ihr Mandant auf Sie!

[32] BVerwG v. 25.9.2008, 3 C 3.07, DAR 2009, 46; v. 25.9.2008, 3 C 34.07, DAR 2009, 104; BayVGH v. 14.12.2005, DAR 2006, 169 – gefestigte Rspr.
[33] Vgl. OVG NRW v. 21.1.2003, NJW 2003, 1472; VGH BW v. 9.1.2007, DAR 2007, 412; NdsOVG v. 24.1.2007, NZV 2007, 265.
[34] Ausgangspunkt der Diskussion: § 2a Abs. 2 StVG a.F. [Fahrerlaubnis auf Probe] unbestritten Tattagsprinzip, aber in § 4 Abs. 3 StVG a.F. Bindung an rechtskräftige Entscheidung, ausführlich hierzu: Kalus, VD 2007, S. 166/196; Janker, DAR 2007, 374.
[35] Kritisch: Zwerger, zfs 2009, 128. Die Diskussion im AK VII anlässlich des 47. Verkehrsgerichtstags in Goslar 2009 machte einen Vereinfachungsbedarf deutlich. Sogar in der Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU und FDP v. 26.10.2009 für die 17. Legislaturperiode heißt es unter Nr. I. 4.4.1 a.E. (S. 41): "Das Punktsystem beim Bundeszentralregister in Flensburg wollen wir reformieren, um eine einfachere, transparentere und verhältnismäßigere Regelung zu schaffen."

I. 8–13 Punkte (§ 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StVG a.F.)

 

Rz. 27

Die Fahrerlaubnisbehörde unterrichtet den Betroffenen hierüber schriftlich, verwarnt ihn und weist ihn auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar (§ 4 Abs. 8 StVG a.F.) hin (§ 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StVG a.F.).

 

Rz. 28

Wird der Betroffene lediglich verwarnt i.S.d. § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StVG a.F., so ist er nach Erreichen von 18 und mehr Punkten so zu stellen, als ob er einen Stand von (jetzt:) 17 (früher 14) Punkten hätte (§ 4 Abs. 5 S. 2 StVG a.F.).[36]

Im Umkehrschluss aus § 4 Abs. 7 S. 2 StVG a.F. ist eine Unterrichtung/Ermahnung nach § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StVG a.F. nicht selbstständig anfechtbar und entfaltet keine Bindungswirkung hinsichtlich des mitgeteilten Punktestandes.[37]

[36] Vgl. dazu VG Braunschweig DAR 2000, 91 = NZV 2000, 101.
[37] BVerwG v. 15.12.2006, NZV 2007, 486.

II. 14–17 Punkte (§ 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StVG a.F.)

 

Rz. 29

Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet unter Fristsetzung die obligatorische Teilnahme an einem Aufbauseminar (nach § 4 Abs. 8 StVG a.F.) an. Hat der Betroffene innerhalb der letzten fünf Jahre bereits an einem solchen Seminar teilgenommen, so ist er lediglich nochmals schriftlich zu verwarnen. Unabhängig davon hat die Fahrerlaubnisbehörde einen schriftlichen Hinweis auf die Möglichkeit einer verkehrspsychologischen Beratung nach § 4 Abs. 9 StVG a.F. zu geben und den Betroffenen darüber zu unterrichten, dass bei Erreichen von 18 Punkten die FE entzogen wird.

 

Rz. 30

Die Fahrerlaubnisbehörde hat die FE zu entziehen, wenn ihrer Anordnung nach Abs. 3 S. 1 Nr. 2 in der festgesetzten Frist nicht nachgekommen wurde (§ 4 Abs. 7 S. 1 StVG a.F.), wobei Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Anordnung und gegen die Entziehung keine aufschiebende Wirkung haben (§ 4 Abs. 7 S. 2 StVG a.F.). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist dementsprechend ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 Hs. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zu stellen. Da der Sofortvollzug kraft gesetzlicher Anordnung eintritt (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), bedarf es keiner gesonderten Begründung für den Sofortvollzug (§ 80 Abs. 3 VwGO ordnet eine besondere Begründung für den Sofortvollzug nur im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO – bei behördlich besonders angeordnetem Sofortvollzug – an).

Kommt der Führerscheininhaber einer angeordneten Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht nach, so hat ihm die Verkehrsbehörd...

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