Rz. 44

Die Revision war unbegründet. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte mit Recht bejaht.

 

Rz. 45

Zutreffend nahm das Berufungsgericht an, dass im vorliegenden Rechtsstreit die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach den Vorschriften des Luganer Übereinkommens vom 30.10.2007 zu beurteilen war. Dass dieses Übereinkommen für die Schweiz erst am 1.1.2011 in Kraft getreten ist, während die Klage bereits am 30.12.2010 zugestellt wurde, hielt das Berufungsgericht mit Recht für unbeachtlich. Den zeitlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens legt Art. 63 Abs. 1 LugÜ 2007 – soweit hier maßgeblich – wie folgt fest:

Zitat

"Die Vorschriften dieses Übereinkommens sind nur auf solche Klagen … anzuwenden, die erhoben … worden sind, nachdem dieses Übereinkommen im Ursprungsstaat … in Kraft getreten ist."

 

Rz. 46

Das Abkommen ist in den EU-Staaten, also auch in Deutschland als Ursprungsstaat der Klage, am 1.1.2010, mithin vor Klageerhebung, in Kraft getreten. Dass, wie die Revision ausführte, aufgrund der unterschiedlichen Zeitpunkte des Inkrafttretens für die Europäische Union einerseits und die Schweiz andererseits eine unerwünschte "Diskordanz" droht, ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 63 Abs. 1 LugÜ 2007 hinzunehmen.

 

Rz. 47

Mit Recht legte das Berufungsgericht auch Art. 9 und 11 LugÜ 2007 dahin aus, dass der Geschädigte einen nach dem anwendbaren nationalen Recht bestehenden Direktanspruch gegen den im Ausland sitzenden Haftpflichtversicherer auch beim Gericht seines Wohnsitzes klageweise geltend machen kann. Diese Vorschriften des Luganer Übereinkommens vom 30.10.2007 sind ebenso auszulegen wie die inhaltsgleichen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO).

 

Rz. 48

Der erkennende Senat hat mit Beschl. v. 26.9.2006 (VI ZR 200/05, zfs 2007, 143 = VersR 2006, 1677 ff.) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 234 EGV zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO dahin zu verstehen ist, dass der Geschädigte vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat. Der Europäische Gerichtshof hat im Urt. v. 13.12.2007 (Rechtssache C-463/06, zfs 2008, 139 = VersR 2008, 111 Rn 21 ff.) die Vorlagefrage bejaht.

 

Rz. 49

Diesem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist der erkennende Senat gefolgt (Urt. v. 6.5.2008 – VI ZR 200/05, BGHZ 176, 276 = zfs 2008, 572). Der vorliegende Rechtsstreit gab keinen Anlass, davon abzuweichen.

 

Rz. 50

Das Berufungsgericht hat die Auslegung der Art. 9 und 11 EuGVVO durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit Recht auf Art. 9 und 11 LugÜ 2007 übertragen.

 

Rz. 51

Für das Luganer Übereinkommen 2007 besteht eine Auslegungszuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (vgl. Senatsurt. v. 20.12.2011 – VI ZR 14/11, WM 2012, 852 Rn 28 m.w.N.). Eine Vorlage an diesen nach Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV war hier indes nicht geboten, weil die richtige Anwendung der Art. 9 und 11 LugÜ 2007 derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. dazu Senatsurt. v. 20.12.2011 – VI ZR 14/11, a.a.O., m.w.N.).

 

Rz. 52

Hinsichtlich der Möglichkeit einer Direktklage gegen den Versicherer am Wohnsitzgerichtsstand des Geschädigten ist eine einheitliche Auslegung geboten (ebenso: Schweizerisches Bundesgericht, Urt. v. 2.5.2012 – 4A_531/2011, DAR 2012, 472, 473 f.). Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zum Verweis in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO kann auf den gleichlautenden Verweis in Art. 11 Abs. 2 LugÜ 2007 übertragen werden. Der Verweis in Art. 11 Abs. 2 LugÜ 2007 ist wie der gleichlautende Verweis in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO zu verstehen, da ersterer sich im Wesentlichen auf den Wortlaut und die Wertungen der EuGVVO stützt. Den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Richtlinie 2000/26 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung kommt lediglich eine bestätigende Funktion zu (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urt. v. 2.5.2012 – 4A_531/2011, a.a.O. S. 473). Da das anwendbare schweizerische Recht – ebenso wie das deutsche Recht (§ 115 VVG) – einen Direktanspruch vorsieht (Art. 65 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz), hat das Berufungsgericht mit Recht die Zulässigkeit der Klage bejaht.

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