Rz. 156

Voraussetzung für das Eingreifen der Ziff. 6.2.5 ist, dass keine ausreichende Erprobung nach dem "Stand der Technik" vorliegt, oder die Erzeugnisse nicht "in sonstiger Weise" ausreichend erprobt waren. In den "älteren" Modellen von 1974 bis 1987 hatte der Versicherungsnehmer noch die "anerkannten Regeln der Technik oder Wissenschaft" einzuhalten.[293] Die Modelle von 2000 und 2002 beinhalten noch den Begriff "Stand von Wissenschaft und Technik". Ziff. 6.2.5 spricht nunmehr (nur noch) vom "Stand der Technik".[294] Insbesondere die Regelung des § 3 Abs. 6 des Bundesimmissionsschutzgesetzes beschreibt den "Stand der Technik" (für dieses Gesetz) – im Anschluss an die Arbeit von Marburger[295] – wie folgt:

 

Rz. 157

"Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes (BImschG) ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit, zur Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur Vermeidung oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere die im Anhang aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen."[296]

 

Rz. 158

Aber weder Marburger[297] und ebenso wenig das Bundesverfassungsgericht[298] haben den Begriff des "Stands der Technik" letztendlich durchdrungen. Der Begriff ist eben nicht leicht zu umreißen. Es ist ein unbestimmter, kein "feststehender" Rechtsbegriff.[299] Nach Marburger[300] erfassen die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" nur bestimmte technische Verfahrensweisen, nämlich die, die sich bereits in der betrieblichen Praxis – und nicht nur in der betrieblichen Entwicklung – bewährt haben und als praktisch "erfolgreiche Problemlösungen" betrachtet werden können. In den Erläuterungen des Verbandsmodells 2002 hat man in Anlehnung an den Gesetzeswortlaut des BImSchG festgestellt:[301] Der Begriff "Stand der Technik" sei ein verbreiteter technischer Bewertungsmaßstab, der in verschiedenen Gesetzen Anwendung finde.[302] Bezogen auf die Ausschlussklausel sei dies der aktuelle Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen zur Erprobung, der die praktische Eignung des Erzeugnisses für den konkreten Verwendungszweck gesichert erscheinen lässt. In der versicherungsrechtlichen Literatur wird – in Bezug auf die inzwischen nebeneinander vorfindbaren Termini nach den "anerkannten Regeln der Technik", dem "Stand der Technik" und dem "Stand von Wissenschaft und (statt oder) Technik" – ein bestehendes Stufenverhältnis interpretiert, wobei letztes Zitat "höchster Maßstab", die anerkannten Regeln der Technik“ hingegen der niedrigste Stand sein soll. Damit läge die Formulierung im Modell in der Mitte.[303]

 

Rz. 159

AGB-rechtlich betrachtet dürfte dieser Begriff des aktuellen Modells trotzdem nicht zu beanstanden sein (vgl. auch Rdn 168).[304]

 

Rz. 160

Zur exakten Umschreibung bedarf es in der Praxis im Einzelfall zumeist der Beiziehung von Sachverständigen.[305]

[293] Diese Regelung soll nach einigen Ansichten in der Literatur, u.a. Schimikowski in Anm. zum Urt. OLG Köln r+s 2015, 190, 192 f. – da sie nicht den im Technikrecht üblichen Formulierungen entspreche – (schon allein deshalb) intransparent sein, was in dieser Allgemeinheit nicht zwingend erscheint.
[294] Vgl. zur Abgrenzung der Begriffe "allgemein anerkannte Regeln der Technik" und "Stand der Technik" Seibel, NJW 2013, 3000 ff.
[295] Marburger, 161 f.
[296] Vgl. entsprechende Regeln in § 7 a Abs. 5 WHG; § 3 Abs. 12 KrW-/AbfG; siehe aber auch § 3 PatG und §§ 2 und 4 BauPG, § 7 Abs. 2 AtomG; § 2 LuftVG.
[297] Marburger, 161 f.
[298] BVerfG 49, 89, 135 ff. = NJW 1979, 359, 362.
[299] A.A. Kettler/Waldner, VersR 2004, S. 413 ff.; Zölch, PHi 2002, 166, 169; Thürmann/Kettler, Produkthaftpflichtversicherung, 288.
[300] Marburger, 162.
[301] Kettler/Waldner, VersR 2004, 413, 418.
[302] Diese wurden nicht zitiert, vgl. aber § 3 Abs. 6 BImSchG oder für die "anerkannten Regeln der Technik", eine Einschränkung (wohl) gegenüber dem "Stand der Technik" z.B. § 4 Abs. 3 BauPG, während der Beratung zur Produkthaftpflichtrichtlinie hatte man immer wieder gefordert, im Rahmen der Diskussion der "Fehlerdefinition" allgemeine technische Standards aufzunehmen; dies wurde abgelehnt, Kullmann, ProdHaftG, § 3 S. 108; Hollmann, DB 1985, 2389, 2393.
[303] Thürmann/Kettler, Produkthaftpflichtversicherung, 288; Kettler/Waldner, VersR 2004, 413, 418; Zölch, PHi 2004, 166, 169; a.A. aber Koch/Artz, DB 2001, 1599.
[304] Kein Zweifel bei OLG Köln r+s 2015, 190 ff.; a.A. Koch/Artz, DB 2001, 1599; vgl. auch Schimikowski in Anm. zu OLG Köln r+s 2015, 192 zum alten Begriff der "anerkannten Regeln der Technik oder Wissenschaft".
[305] So ausdrücklich BVerfG NJW 1979, 359, 362.

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