Rz. 45

Die sog. Betriebsstätten-Deckung (Betriebshaftpflichtversicherung, vgl. § 102 VVG)[138] und die Produkthaftpflicht-Deckung nach Ziff. 1.1 des Modells werden in zeitlicher Hinsicht danach abgegrenzt, ob der Schaden nach Inverkehrbringen der Erzeugnisse, nach Abschluss der Arbeiten oder nach Ausführung der Leistungen (dann Produkthaftpflicht-Versicherung) oder eben vor diesem Zeitpunkt (dann Betriebsstätten-Risiko) entsteht (vgl. Ziff. 1.1 Abs. 2 des Modells). Um es vereinfacht zu formulieren: Die Vereinbarung der Produkthaftpflichtversicherung baut (nicht selten beispielsweise in einem Teil II dokumentiert) auf dem Betriebsstätten-Risiko (nicht selten Teil I) auf. Für das Betriebsstätten-Risiko können andere Deckungssummen vereinbart sein als für das Produkthaftpflichtrisiko und auch andere Selbstbehalte. Für den Fall, dass dies – entgegen den Empfehlungen in der Praxis – unterschiedlich in der Produkthaftpflicht und in der Betriebshaftpflicht vereinbart ist und Divergenzen im Hinblick auf die Deckungssummen oder Selbstbehalte tatsächlich vorliegen, kann die Abgrenzung von Bedeutung sein. Dann wird das Betriebsstätten-Risiko von dem Produkthaftpflicht-Risiko in zeitlicher Hinsicht abgegrenzt.

[138] Ab den Modellbedingungen 2015 findet sich eine etwas andere Einteilung.

a) "Inverkehrbringen"

 

Rz. 46

Das Produkthaftpflichtmodell greift in zeitlicher Hinsicht wenn die Arbeiten abgeschlossen sind oder der Unternehmer die Leistungen ausgeführt hat. Für Erzeugnisse enthielten die Produkthaftpflichtmodellbedingungen 1987 (noch) keinen ausdrücklichen Zeitpunkt der Abgrenzung für ­hergestellte und gelieferte Erzeugnisse. Insofern hat die Aufnahme eines zeitlichen Abgrenzungskriteriums zur Klarheit beigetragen.[139]

 

Rz. 47

Es ist aber fraglich, ob der "recht schillernde" Begriff des "Inverkehrbringens" wirklich geeignet ist, für ausreichende Transparenz zu sorgen. In verschiedenen europäischen Richtlinien[140] und zahlreichen nationalen gesetzlichen Vorschriften[141] und in verschiedenen vertraglichen Regelwerken wird häufig auf den Begriff des Inverkehrbringens abgestellt. Dabei lässt sich ein gewisses "Grundverständnis" inzwischen erkennen, ohne dass dabei die bestimmten Besonderheiten in den einzelnen Richtlinien, Gesetzen oder sonstigen Regelwerken tatsächlich einmal – bezogen auf etwaige Auslegungsschwierigkeiten – umfassend dogmatisch aufbereitet worden wären.

 

Rz. 48

Die amtliche Begründung zu § 1 ProdHaftG geht davon aus, dass ein Produkt gewöhnlich dann "in den Verkehr gebracht" ist, wenn es "in die Verteilungskette" gegeben worden ist, wenn der Hersteller es also aufgrund seines Willensentschlusses einer anderen Person außerhalb seiner Herstellungssphäre übergeben hat.[142]

In Bezug auf § 5 ElektroG (in Umsetzung des Art. 4 RoHS) hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in einem Anschreiben an die Kommission der EG vom 2.3.2006 klargestellt, dass für Deutschland das "Inverkehrbringen" neuer Geräte die "erstmalige Bereitstellung auf dem Gemeinschaftsmarkt mit dem Zweck des Vertriebs" bedeute.[143] Demgegenüber definiert der Gesetzgeber im neuen ProdSG das "Inverkehrbringen" als die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Markt; die Einfuhr in den Europäischen Wirtschaftsraum steht dem "Inverkehrbringen" eines neuen Produktes gleich (§ 2 Nr. 15 ProdSG).

 

Rz. 49

Ob es daher für ein "Inverkehrbringen" tatsächlich genügt, wenn der Hersteller das Produkt einer "rechtlich von ihm unabhängigen Vertriebsgesellschaft überlässt", und zwar gleichgültig, ob diese das Produkt selbst vom Hersteller bezieht oder es unmittelbar vom Betriebsgelände des Herstellers aus an den Abnehmer ausliefern lässt,[144] ist zumindest zweifelhaft. Der EuGH hat im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vom High Court of Justice (England & Wales) die Frage entschieden, wann ein Produkt im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie (85/374/EWG) "in den Verkehr gebracht" worden ist.[145] Der Kläger hatte von der beklagten Vertriebsgesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich, einer 100 %-igen Tochtergesellschaft des französischen Herstellers, Schadenersatz wegen schwerster Körperschäden verlangt, die er infolge eines fehlerhaften Impfstoffes erlitten hatte. Der EuGH legte den Begriff des "Inverkehrbringens" wie folgt aus: Ein Produkt ist (i.S.d. Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG) in den Verkehr gebracht, wenn es den "beim Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, indem es in ge- oder verbrauchsfertigem Zustand offensichtlich angeboten wird". Dabei soll es zwar grundsätzlich unerheblich sein, ob der Hersteller das Produkt unmittelbar an den Verbraucher verkauft, oder ob der Verkauf im Wege des Vertriebs mit mehreren Beteiligten erfolgt, so dass auch der Verkauf an eine Vertriebsgesellschaft grundsätzlich als "Inverkehrbringen" betrachtet werden kann. Besteht jedoch im Einzelfall eine sehr enge Verflochtenheit zwischen Mutter- und Tochterunternehmen (z.B....

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