Rz. 180

Ziff. 8.1 regelt nunmehr den Versicherungsfall ausdrücklich, während dieser in den Modellen von 1973 und 1987 noch nicht erwähnt war.[351] Als Reaktion auf die Rechtsprechung im "Bahndamm-Urteil"[352] wurde in den AHB statt des ursprünglich verwandten Begriffs "Ereignis" ein neuer Begriff, nämlich der des "Schadenereignisses" gewählt.[353] Man wollte den Begriff des "Folgeereignisses" definitiv festschreiben. Jetzt ist der Begriff des "Schadenereignisses" weitgehend ­anerkannt.[354] Es sieht das Ereignis "als äußeren Vorgang", was den Schaden unmittelbar herbeiführt.[355] In einer ­jüngeren Entscheidung[356] hat das Gericht zunächst zu Recht festgestellt, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf ankomme, ob Versicherungsschutz wegen eines "Schadenereignisses" ­begehrt wird. Wörtlich hat es zum Begriff "Schadenereignis" ausgeführt:

Zitat

"Was unter "Schadenereignis" zu verstehen ist, kann allerdings im Wege der Auslegung nicht aus einer isolierten Vorschrift abgelesen werden, sondern erfordert eine Gesamtschau aller Vereinbarungen der Vertragsparteien. Aus dem Zusammenhang der Einzelregelungen und deren Wortlaut ist im streitgegenständlichen Versicherungsverhältnis "Schadenereignis" nicht bereits die Herstellung (Konstruktion) oder Lieferung des fehlerhaften Erzeugnisses (hier 70 BUS-Pumpen), also nicht das Kausalereignis zu verstehen, sondern erst der äußere Vorgang, der die Schädigung des Dritten unmittelbar herbeiführt, also das Folgeereignis."[357]

 

Rz. 181

Mit anderen Worten: In einem Versicherungsvertrag, dem neben den AHB auch die Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Produkthaftpflichtversicherung zugrunde liegen, ist unter "Schadenereignis" (englisch: "loss occurence") danach nicht das Kausalereignis, sondern das Folgeereignis zu verstehen. Ob "in der Produkthaftpflichtversicherung" dann – so wie dies das OLG Stuttgart[358] formuliert – aber "regelmäßig der Versicherungsnehmer das Inverkehrbringen als Schadenereignis begreifen wird" ist zweifelhaft; ich kann dieser Auffassung in dieser Generalität nicht ganz zustimmen. Richtig dürfte aber sein, dass es i.d.R. jedenfalls nicht auf den Vertragsschluss ankommt.

Foerste/Graf von Westphalen/Mühlbauer[359] ziehen jüngst unter Berücksichtigung des zur D&O Versicherung ergangenen Urteils des OLG München VersR 2009, 1066 die Wirksamkeit der Definition des Versicherungsfalls im Produkthaftpflichtmodell in Zweifel, weil Kompensationen, die das OLG für notwendig erachtet hatte, im Produkthaftpflichtbereich fehlen. Dies hält der Verfasser für unzutreffend. Diese Ansicht findet Bestätigung durch das OLG Köln.[360]

[351] Dies führte früher zum Streit wegen fehlender Definition; in den Produkthaftpflicht-Modellen musste früher auf § 1 Abs. 1 AHB zurückgegriffen werden, in dem es bis 1982 statt "Schadenereignis" nur "Ereignis" hieß; dennoch stellte die herrschende Meinung nicht auf das "Kausalereignis", sondern auf das "Folgeereignis" ab. Unter Folgeereignis verstand man den äußeren Vorgang, der die Schädigung des Dritten und damit die Haftpflicht des Versicherungsnehmers unmittelbar herbeiführte (BGH VersR 1957, 499; BGH NJW 1965, 755, 765; vgl. dazu Späte, Teil B, § 1 AHB Rn 14 sowie BGHZ 25, 34 – "Mehrbinderfall"). Im "Bahndamm-Urteil" stellte der BGH dann 1980 nicht auf das Folgeereignis, sondern – für viele überraschend – auf das Kausalereignis ab (BGHZ 79, 76 – "Bahndamm": Ein Unkrautvernichtungsmittel war während der Dauer der Versicherung auf einem Bahndamm versprüht worden und führte später zu Schäden an Bäumen, nachdem es über das Grundwasser an deren Wurzeln gelangt war; die Schäden traten möglicherweise – Einzelheiten waren unklar – nach Ablauf des Deckungsschutzes auf. Der BGH stellte auf den Zeitpunkt des Versprühens des Unkrautvernichtungsmittels als dem "klaren Zeitpunkt" ab ("Verstoß-" oder "Kausalereignis"). Dieses Urteil wurde vielfach kritisiert, Klingmüller, VersR 1981, 421; Küpper, VP 1981, 172; Meyer/Kahlen, VP 1986, 66.
[352] BGH VersR 1981, 173.
[353] VerBAV 1982, 122; und zur Historie der Änderung des Wortlauts auch OLG Karlsruhe VersR 2003, 1436.
[354] Dazu jüngst BGH, Urt. v. 23.3.2014, NJW 2014, 2038 ff. – Ofenbau/Schäden aus Fliesenlegerarbeiten: Im Streitfall war erst der Austritt des Wassers selbst das maßgebliche Schadenereignis (a.A. Lücke, VuR kompakt 2013, 5.7); vormals vgl. Jenssen, ZVersWiss 1987, 455; Teichler, ZfV 1984, 643.
[355] OLG Oldenburg r+s 1997, 57 = VersR 1997, 732 – als "Folgeschadenereignis" – "Korken": mangelhafte Weinkorken waren vom Versicherungsnehmer während der Wirksamkeit des Versicherungsvertrages bezogen, beim Versicherungsnehmer weiterverarbeitet und an seinen Abnehmer ausgeliefert worden; erst nach Ablauf des Vertrages wurden die Korken zum Verschließen von Weinflaschen verwendet und anschließend traten Schäden auf.
[357] Vgl. dazu auch OLG Karlsruhe VersR 2005, 397 sowie bereits OLG Karlsruhe VersR 2003, 1436 f. und OLG Oldenburg 1997, 73...

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