Rz. 86

Derzeit wird diskutiert, in welcher Weise private Dienstleister polizeiliche Aufgaben übernehmen dürfen und inwieweit diese Erhebungen verwendet werden dürfen. Dies betrifft zum einen die Verwendung von Dashcam-Aufzeichnungen, zum anderen die jüngst entschiedenen Messungen durch Private.

Auf dem Verkehrsgerichtstag 2016 hat sich eine Arbeitsgruppe[86] intensiv mit diesen Fragen auseinandergesetzt und dann schließlich folgende Empfehlungen verabschiedet:

Zitat

1. Die Video-Aufzeichnung von Verkehrsvorgängen mithilfe von Dashcams kann einen Beitrag zur Aufklärung von Unfallhergängen und Straftaten leisten, aber auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten führen. Der Arbeitskreis beklagt, dass weder in Deutschland noch in den Nachbarländern eine klare Rechtslage zur Verwendung derartiger Kameras und zur Verwertung damit erzeugter Aufnahmen vor Gericht besteht.
2. Der Arbeitskreis empfiehlt daher eine gesetzliche Regelung, die auf der Basis des europäischen Datenschutzrechts möglichst ein einheitliches Schutzniveau innerhalb der EU gewährleistet.
3. Anstelle eines generellen Verbotes oder einer generellen Zulassung derartiger Aufzeichnungen ist ein sachgerechter Ausgleich zwischen Beweisinteresse und Persönlichkeitsrecht durch den Gesetzgeber geboten.
4. Dieser Ausgleich könnte darin bestehen, dass die Aufzeichnung mittels derartiger Geräte dann zulässig ist, wenn die Aufzeichnung anlassbezogen, insbesondere bei einem (drohenden) Unfall, erfolgt oder bei ausbleibendem Anlass kurzfristig überschrieben wird.
5. Die Verwertung von rechtswidrigen Dashcam-Aufnahmen im Gerichtsverfahren richtet sich nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu den Beweisverwertungsverboten.
6. Die Verfolgung von Verkehrsverstößen ohne schwerwiegende Gefährdung oder Folgen soll weiterhin nicht auf die Aufzeichnungen von Dashcams gestützt werden können.
7. Der Missbrauch von Aufzeichnungen mit personenbezogenen Daten, z.B. eine Veröffentlichung im Internet, sollte mit Sanktionen bedroht werden.
 

Rz. 87

Im Widerstreit mit § 6 BDSG (vgl. dazu die folgende Abb.) ist damit übersichtlich zu konstatieren, dass zwar keine grundsätzliche Zulässigkeit angenommen werden kann, – mithin aus Verteidigersicht – sicherheitshalber der Verwertung widersprochen werden sollte,[87] jedoch Ausnahmen in besonderen Fällen derzeit gewährt werden, wenn die Wichtigkeit des Rechtsguts und die Schwere der Verletzungen dies gebieten.

Maßgeblich wird nicht nur auf das Einverständnis, sondern zugleich auf die Schwere des in Rede stehenden Rechtsgutes abgestellt, wobei sich die grundsätzliche Unzulässigkeit schon aus den Datenschutzbestimmungen ergibt.[88] Dies dürfte grundsätzlich für alle Überwachungen durch (private) Dritte gelten, wenn sie nicht von Behörden übertragen wurden. Der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Stuttgart hat es in einem Beschluss vom 4.5.2016 (4 Ss 543/15) für grundsätzlich zulässig erachtet, in einem Bußgeldverfahren ein Video zu verwerten, das ein anderer Verkehrsteilnehmer mit einer "Dashcam" aufgenommen hat. Dies gelte jedenfalls für die Verfolgung schwerwiegender Verkehrsordnungswidrigkeiten wie – vorliegend – eines Rotlichtverstoßes an einer mindestens seit sechs Sekunden rot zeigenden Ampel.

 

Beachte

Selbst bei einem Verwertungsverbot strafrechtlicher Natur, kann einem Schadenersatzprozess womöglich mit dem OLG Stuttgart eine Verwertung stattfinden. So hat die Presse[89] berichtet, dass in einem Prozess der Vorsitzende gesagt haben soll, dass die Dashcam lediglich die Straße filme, nicht aber in die Privat- oder gar Intimsphäre eindringe; der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht damit relativ gering sei. Im öffentlichen Raum müsse jeder damit rechnen, fotografiert oder gefilmt zu werden. Deshalb seien die Interessen desjenigen, der seine Ansprüche aus einem Autounfall durchsetzen möchte, deutlich gewichtiger. Zwar ist kein Urteil gefällt worden, jedoch hat die Inaugenscheinnahme der Bilder zu einer Einigung der Prozessparteien geführt.

 

Rz. 88

Das OLG Frankfurt am Main hat am 3.3.2016 (2 Ss-OWi 1059/15) zwar ein automatisches Verwertungsverbot verworfen – selbst wenn gesetz- und erlasswidrig sog. Private Dienstleister einbezogen worden seien –, jedoch zugleich festgehalten, dass die Verkehrsüberwachung Aufgabe der staatlichen Ordnungsbehörden ist (§ 47 OWiG, § 26 StVG). Die Ordnungsbehörde müsse Herrin des Verfahrens bleiben. Denn der Kern der Verkehrsmessung bestehe (neben der Entscheidung wann, wo und wie gemessen werde) in der Auswertung und Bewertung der vom Messgerät erzeugten Falldateien. Dabei sei das Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung die Falldatei in ihrer lesbaren Auswertung in der Gerichtsakte (i.d.R. in Form eines Lichtbildes mit den Messdaten). Die Ordnungsbehörde müsse deswegen im Besitz der Falldateien sein und damit die Authentizität der Umwandlung der Falldateien in ihrer lesbaren Form sicherstellen und garantieren. Ein Verwertungsverbot wurde verneint, weil d...

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