Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrsordnungswidrigkeit. Bußgeldverfahren. Auswertung durch private Ordnungsbehörde als Herrin des Verfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verkehrsüberwachung ist Aufgabe der staatlichen Ordnungsbehörden (§ 47 OWiG, § 26 StVG).

2. Bei der Hinzuziehung von sog. privaten Dienstleistern muss die Ordnungsbehörde Herrin des Verfahrens bleiben.

3. Kern der Verkehrsmessung ist neben der Entscheidung wann, wo und wie gemessen wird, die Auswertung und Bewertung der vom Messgerät erzeugten Falldateien.

4. Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung ist nämlich die Falldatei in ihrer lesbaren Auswertung in der Gerichtsakte (i.d.R. in Form eines Lichtbildes mit den Messdaten). Die Ordnungsbehörde muss deswegen im Besitz der Falldateien sein und sie muss über die Bewertung der Falldatei hinaus die Authentizität der Umwandlung der Falldateien in ihrer lesbaren Form sicherstellen und garantieren.

5. Überlässt die Ordnungsbehörde gesetz- und erlasswidrig ihre Kernaufgabe sog. privaten Dienstleistern, führt dies nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot, da die Auswertung der Falldatei durch die Ordnungsbehörde nachgeholt werden kann.

 

Verfahrensgang

AG Weilburg (Entscheidung vom 13.07.2015; Aktenzeichen 6 Js 40 OWi 5524/15)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Limburg a. d. Lahn wird das Urteil des Amtsgerichts Weilburg vom 13. Juli 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde und die der Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an das Amtsgericht Weilburg zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Regierungspräsidium Kassel verhängte mit Bußgeldbescheid vom 12. Januar 2015 gegen die Betroffene wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h eine Geldbuße von 160,00 €. Hiernach befuhr die Betroffene am ... Oktober 2014 um 11:04 Uhr mit dem PKW, amtliches Kennzeichen A, in Stadt1 die ...straße in Richtung Ortsmitte. Obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit dort auf 30 km/h begrenzt ist, wurde das Fahrzeug der Betroffenen in Höhe des Hauses ... mit einer Geschwindigkeit von 52 km/h (nach Toleranzabzug) gemessen.

Das Messergebnis, auf welches der Erlass des Bußgeldbescheides zurückzuführen war und welches als maßgebliches Beweismittel für die Überführung der Betroffenen in Betracht gekommen wäre, wurde durch die stationäre Geschwindigkeitsüberwachungsanlage des Typs ESO ES 3.0 ermittelt. Die erforderliche Aufbereitung der Messdaten erfolgte vorliegend dergestalt, dass die Mitarbeiterin der Gemeinde, die Zeugin Z1, nach Abschluss der Messung gemeinsam mit dem Mitarbeiter A der Firma B, bei der die Gemeinde Stadt1 das die Messung durchführende Messgerät geliehen hat, die Messrohdaten entnahm und auf einen USB-Stick überspielte. Diesen USB-Stick nahm der Mitarbeiter der Firma B an sich; zu diesem Zeitpunkt verblieben keinerlei Rohdaten der Messung bei der Gemeinde Stadt1. Der Mitarbeiter A der Firma B führte sodann die Bildaufbereitung bzw. Bildauflistung durch und gab nach durchgeführter Arbeit die Messdaten an die Gemeinde Stadt1 zurück, bei der die weitere Auswertung der Messdaten erfolgte.

Auf den gegen den Bußgeldbescheid von der Betroffenen eingelegten Einspruch sprach sie das Amtsgericht Weilburg mit Urteil vom 13. Juli 2015 aus Rechtsgründen mit der Begründung frei, die dem Geschwindigkeitsverstoß zugrunde liegenden Messbilder seien nicht verwertbar, weil sie unter Mitwirkung von Privatpersonen erlangt worden seien, ohne dass die Verwaltungsbehörde Herrin des Verfahrens geblieben sei. Insoweit bestünden sowohl ein Beweiserhebungs- als auch ein Beweisverwertungsverbot. Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten sei eine typische Hoheitsaufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns, weshalb eine Mitwirkung von Privatpersonen nur sehr eingeschränkt möglich sei; in jedem Fall müsse sichergestellt sein, dass die Verwaltungsbehörde Herrin des Verfahrens bleibe. Der Umfang der Beteiligung des Mitarbeiters der Firma B verstoße gegen Nr. 2.2 des die Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden betreffenden Erlasses des Hessischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 06. Januar 2006 (Staatsanzeiger vom 30.01.2006, S. 286 ff), wonach die Auswertung der Einsatzfilme/elektronischen Aufzeichnungen in jedem Fall ausschließlich durch die örtliche Ordnungsbehörde zu erfolgen habe. Mangels Verbleibes von Rohmessdaten bei der Gemeinde sei vorliegend eine erneute Auswertung ohne Beteiligung der Privatfirma nicht möglich, und es könne auch keine Überprüfung dahin erfolgen, ob die ursprüngliche Datei der Messanlage nach der Vorauswertung verändert worden sei.

Mit ihrer frist- und formgemäß eingelegten und begründeten Zulassungsrechtsbeschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Das Amtsgericht habe zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der durch die Bildaufberei...

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