Rz. 1

Der Anspruch mit der wahrscheinlich größten praktischen Relevanz beim "Sozialhilfe"-Regress ist der Schenkungsrückforderungsanspruch des bedürftigen Schenkers.[1]

Zur Umsetzung durch Überleitung nach § 93 SGB XII vgl. § 3 Rdn 409 ff.
Zum Schenkungsrückforderungsanspruch im BAföG vgl. § 8 Rdn 76.
 

Rz. 2

Schenkungen im Sinne des § 516 BGB gilt es bei der Rechtsgestaltung durch Bedürftige oder potentiell alsbald Bedürftige grundsätzlich zu vermeiden. Vielmehr muss man um die Einzelelemente des Schenkungsbegriffs "herumnavigieren", damit eine solche Zuwendung Bestand haben kann. Ein Vorausverzicht auf einen evtl. entstehenden Schenkungsrückforderungsanspruch ist nach richtiger Ansicht nicht zulässig.[2]

 

Rz. 3

 

Fallbeispiel 101: Der elternunterhaltspflichtige Schenker

Der Sohn S verdient gut: Er überschreitet die 100.000 EUR-Grenze brutto pro anno deutlich. Er bewohnt eine Eigentumswohnung von 80 qm, die ursprünglich in seinem Eigentum gestanden hat. Vor drei Jahren übertrug er sie unentgeltlich auf seine Tochter und behielt sich ein dinglich gesichertes Nießbrauchrecht vor. Der Sozialhilfeträger nimmt ihn auf Elternunterhalt für seine heimpflegebedürftige Mutter in Anspruch. Er könne außerdem einen Schenkungsrückforderungsanspruch gegenüber seiner Tochter geltend machen. Wenn die Tochter ihn mit einer monatlichen Geldzahlung in Höhe des noch offenen Bedarfs ihrer Großmutter abfinde, könne deren Bedarf gedeckt werden.

 

Rz. 4

Der Rückforderungsanspruch des § 528 BGB ist ein finaler[3] zivilrechtlicher Anspruch, der auf Existenzsicherung abzielt. Er enthält zwei Fallkonstellationen und soll den Schenker in die Lage versetzen,

seinen eigenen angemessenen Unterhalt i.S.d § 1610 BGB selbst zu bestreiten, ohne der Allgemeinheit zur Last zu fallen[4]
seine gesetzlichen Unterhaltspflichten gemäß §§ 1360 ff. BGB, §§ 1569 ff. BGB, §§ 1601 ff. BGB, § 1615 Abs. 1 BGB, §§ 5, 12, 16 LPartG weiterhin selbst erfüllen können und diese Pflicht nicht durch eine Schenkung unterlaufen.[5]

Dieser Anspruch trifft in den hier interessierenden Fallkonstellationen zusammen mit Ansprüchen auf Sozialleistungen, die nach Maßgabe des Nachrang-, Faktizitäts- und des Gegenwärtigkeitsprinzips ebenfalls auf Existenzsicherung abzielen.[6] Dabei hat die private Existenzsicherung eigentlich Vorrang vor der öffentlich-rechtlichen Existenzsicherung. Die Ansprüche überlagern sich aber, wenn es wegen des Gegenwärtigkeitsprinzips dazu kommt, dass der zur Bedarfsdeckung an sich vorrangig einzusetzende Anspruch kein "bereites" Mittel ist und "Sozialhilfe"-leistungen erbracht werden müssen. Dann tritt der Sozialleistungsträger "in die Schuhe des Schenkers." Dann erhält der Anspruch eine andere Zweckrichtung und der Schenker wird zum "Treuhänder des Ausgleichsanspruchs für Zwecke des Sozialleistungsträgers."[7]

Der Anspruch geht beim Sozialhilfebezug des Schenkers nicht – auch nicht mit dem Tod – unter.[8]

 

Rz. 5

Deshalb ist es nach der Rechtsprechung für den Rückforderungsanspruch auch unschädlich, dass der Schenker das Geschenk zeitweise jedenfalls nicht ohne weiteres zur Unterhaltssicherung verwenden kann (weil z.B. der geschenkte Gegenstand noch mit einem Verwertungshindernis wie einem Nießbrauch belastet ist).[9]

Ein Rückforderungsanspruch nach § 528 BGB besteht nur dann, wenn

eine Schenkung (§ 516 BGB) vorliegt
diese Schenkung vollzogen wurde (vor Vollzug, aber nach Abschluss des Schenkungsvertrages, kann die Einrede des Notbedarfs nach § 519 BGB geltend gemacht werden[10]).

Voraussetzung ist auch, dass durch die Rückgewähr des geschenkten Vermögensgegenstands die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit (wieder)hergestellt oder gesteigert wird. "Das setzt aber grundsätzlich voraus, dass der Unterhaltspflichtige aus dem verschenkten Gegenstand entweder (weitere) unterhaltsrelevante Erträge ziehen könnte oder ihn insoweit eine unterhaltsrechtliche Verwertungsobliegenheit treffen würde. Ergibt sich aus der Rückgewähr dagegen keine Verbesserung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit des Schenkers, könnte ein Rückforderungsanspruch seinen Zweck nicht erfüllen und scheidet daher aus."[11]

 

Rz. 6

Falllösung Fallbeispiel 101:

Elternunterhalt richtet sich familienrechtlich nach §§ 1603 ff. BGB. Danach muss ein Elternteil einen ungedeckten Bedarf haben, bedürftig sein und der Sohn S müsste leistungsfähig sein. Die Leistungsfähigkeit wird aus Einkommen und Vermögen ermittelt. Das Familienrecht kennt keine 100.000 EUR-Grenze. Elternunterhaltsansprüche sind Einkommen im Sinne der §§ 82 ff. SGB XII und gehen nach § 94 SGB XII auf den Sozialhilfeträger über. Ein Unterhaltsanspruch, der aus bis zu 100.000 EUR Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 2 EStG errechnet wird, ist als Einkommen im Sinne des § 82 SGB XII nicht berücksichtigt und geht nach § 94 Abs. 1a SGB XII auch nicht über. Da das Einkommen des Sohnes oberhalb von 100.000 EUR liegt, wäre hier zunächst ein Unterhaltsanspruch aus allen Einkommensarten – einschließlich Nießbrauch – zu ermitteln. Die Regeln zum...

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