Rz. 135

Der sachliche Wert von Dienstleistungen lässt sich auch im Sinne von § 612 BGB als die Kosten der üblichen Vergütung feststellen:[333]

Heute kann man Pflege und Alltagsbegleitung durch Dritte "einkaufen". Sie werden von professionellen Pflege-/Betreuungsdiensten erbracht, und seit 2008 auch von ausgebildeten Alltagsbegleitern.

Der allgemeine Mindeststundenlohn beträgt in 2021 9,50 EUR, der Mindeststundenlohn einer qualifizierten Pflegehilfskraft[334] mit einjähriger Ausbildung 12,50 EUR.[335]
Das Gehalt von Alltagsbegleitern wird im Internet je nach Quelle mit durchschnittlich 2.137 und 2.782 EUR bei einer 40 Stunden-Woche angegeben.[336]
Der Wert einer Pflegeleistung/Betreuungsstunde lässt sich auch aus den Vergütungsvereinbarungen ableiten, den Pflege- und Betreuungsdienste mit der Pflegekasse bzw. Sozialämtern abschließen (§§ 89 f. SGB XI, §§ 76 ff. SGB XII)[337]
Im Schenkungssteuerrecht wird für "Pflege und Wart" – bezogen auf 2017 – von einem pauschalen Satz von 11 EUR pro Stunde ausgegangen: "Dieser Betrag ergibt sich aus dem Mittelwert des Verhältnisses der derzeit gesetzlich festgelegten monatlichen Pauschalvergütung bei Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen (§ 36 Abs. 3 SGB XI) zu dem jeweiligen Zeitaufwand für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 15 Abs. 3 SGB XI), aufgerundet auf einen vollen Eurobetrag. Der pauschale Satz ist anzusetzen unabhängig davon, ob und wenn ja in welcher Pflegestufe die zu pflegende Person eingestuft ist."[338]
Die Rechtsprechung zu § 843 BGB geht davon aus, dass die nach § 843 BGB als unentgeltlich gewerteten, aber erstattungsfähigen Pflegeleistungen durch Familienangehörige marktgerecht zu bewerten sind. Das ist der Nettolohn einer vergleichbaren entgeltlich eingesetzten Hilfskraft.[339] Das führt zurück zu § 612 BGB.
 

Hinweis

Der Aufwand für freie Verpflegung, Heizung, Beleuchtung und andere Nebenkosten kann mit Hilfe der Sachbezugsverordnung ermittelt werden. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 SGB IV wird der Wert der Sachbezüge nach dem tatsächlichen Verkehrswert im Voraus für jedes Kalenderjahr festgestellt. Für ganztätige Verpflegung gilt bezogen auf 2021 ein Betrag von 263 EUR pro Monat.[340]

 

Rz. 136

Abzulehnen ist die Auffassung, wonach der objektive Wert von Leistungen, die ein ambulanter Pflege-/Betreuungsdienst erbringt, zugrunde gelegt werden soll, weil dies nämlich impliziert, dass bei Abschluss der Vereinbarung schon Pflegebedürftigkeit besteht.[341] Das ist nach diesseitiger Sicht auch abzulehnen, soweit in der Literatur z.T. der Wert der Leistungen qualifizierter Pflegekräfte in Pflegeheimen (§ 43 Abs. 2 SGB XI) zugrunde gelegt wird.[342]

 

Rz. 137

Auch die Wertangabe in notariellen Grundstücksübertragungsverträgen ist für die Bewertung von Pflege- und Versorgungsleistungen ungeeignet. Es kommt ihnen nicht einmal Indizwirkung für ein erhebliches Auseinanderfallen von vereinbarter Vergütung und erbrachter Leistung zu. Die Wertangabe hat bloß gebührenrechtliche Bedeutung.[343] Nichts anderes gilt für die Bemessung einer Wertersatzrente für Pflegeleistungen beim Wegzug des Berechtigten in ein Pflegeheim.[344]

 

Rz. 138

Ein anderer Ansatz geht davon aus, dass die Bewertung von Pflegeverpflichtungen danach erfolgen könne, mit welchen Kosten sich ein potentieller Grundstückskäufer von einer entsprechenden Reallast befreien könnte. Dazu müsse ermittelt werden, welcher Aufwand für eine private Zusatzpflegeversicherung aufzubringen sei, um die geschuldete Pflege "einzukaufen".[345] Dieser Ansatz scheint im ersten Moment bestechend, hat seine Einschränkung aber da, wo aufgrund des Alters und des Gesundheitszustandes des Zuwendenden keine Versicherbarkeit mehr gegeben ist. Der eklatante Anstieg der Versicherungsbeiträge seit 2020 zeigt auch, dass sich auch daraus keine gesicherte Bewertungsgrundlage finden lässt.

 

Rz. 139

In der Literatur wird auch versucht, sich an den Kosten von ersparten Fremdleistungen zu orientieren und diese anhand der statistischen Lebenserwartung und der Pflegewahrscheinlichkeit hochzurechnen.[346]

 

Fazit

Alle Schätzungen außerhalb von Sachverständigenbewertungen sind letztlich "Krücken". Einigermaßen verlässlich erscheint davon nur das auf dem Markt erzielbare Entgelt von Alltagsbegleitern, Betreuern aus Betreuungsdiensten und Laienpflegern.

[333] Vgl. z.B auch Krauß, Vermögensnachfolge in der Praxis, Kap. 1 Rn 53.
[334] Hieran orientiert sich z.B. das FG Rheinland-Pfalz v. 23.3.2007 – Az.: 4 K 2892 bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten und Arbeiten, die von ungelernten Kräften ausgeführt werden können.
[335] Hieran orientieren sich z.B. Autoren, die den Wert einer Pflegleistung i.S.d. SGB XI schlicht schätzen; so z.B. Bewertung bei Gehse, RNotZ 2009, 361, 376 mit damals 7 bis 8 EUR pro Stunde; für einen konkreten Einzelfall nimmt das OLG Schleswig v. 7.9.2018 – Az.: 14 UF 169/17, NJW-RR 2019, 390, 391 einen Mittelwert zwischen den Mindestlöhnen an und lehnt einen Rückgriff auf die Pflegesachleist...

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