Rz. 49

In der Praxis sind Zuwendungen zwischen tatsächlich oder potentiell Pflegebedürftigen und Pflegenden nicht selten, synallagmatische Vereinbarungen aber schon. Häufig handelt es sich um Angehörigenpflege, die besonders streitanfällig ist, wenn sie im Kontext mit Zuwendungen des Pflegebedürftigen stehen. Im Hinblick auf einen pflege- oder versorgungsbedingten Vermögenstransfer zwischen Angehörigen besteht in der Praxis eine große Notwendigkeit zum Abschluss entgeltlicher Versorgungs- und Pflegeverträge.[120]

Zuwendungen z.B. einer Immobilie und die Pflege/Versorgung durch den Zuwendungsempfänger können im Verhältnis von Leistung und "echter" Gegenleistung[121] stehen, müssen es aber nicht. Zum einen kann Pflege/Versorgung eine Auflage im Rahmen einer Auflagenschenkung darstellen.[122] Dann handelt es sich nicht um eine Gegenleistung, sondern um die Erfüllung einer im Kontext der Schenkung stehenden Auflage.[123]

 

Rz. 50

Pflege/Versorgung kann aber auch aufgrund familiärer Solidarität als familienhafte Mithilfe (§§ 1353 S. 2, 1360, 1360a, 1360b[124] 1618a BGB) oder als Gefälligkeitsverhältnis erbracht werden. "Die Abgrenzung, ob den Erklärungen der Parteien ein Wille zur rechtlichen Bindung zu entnehmen ist oder die Parteien nur aufgrund einer außerrechtlichen Gefälligkeit handeln, ist an Hand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu bewerten. Ob bei einer Partei ein Rechtsbindungswille vorhanden ist, ist danach zu beurteilen, ob die andere Partei unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste. Dies ist anhand objektiver Kriterien aufgrund der Erklärungen und des Verhaltens der Parteien zu ermitteln, wobei vor allem die wirtschaftliche sowie die rechtliche Bedeutung der Angelegenheit, insbesondere für den Begünstigten, und die Interessenlage der Parteien heranzuziehen sind."[125]

Grundsätzlich sind entgeltliche Austauschverträge zwischen Angehörigen zulässig. Eltern schulden volljährigen, betreuungs- oder pflegebedürftigen Abkömmlingen mit eigener finanzieller Ausstattung gesetzlich keine dauerhafte Betreuung und Pflege. Ebenso wenig schulden Kindern ihren leistungsfähigen Eltern solche Leistungen. Jeder Pflegebedürftige muss das Abschmelzen seiner eigenen Mittel daher lebzeitig in Kauf nehmen.

 

Rz. 51

Der Bedarf an Versorgung und Betreuung, der auch die Pflege umfasst, stellt – soweit er nicht durch vorrangige Leistungen aus Versicherungen und eigene Mittel abgedeckt wird – grundsätzlich unterhaltsrechtlich relevanten Bedarf dar, nämlich sog. Betreuungsbedarf.[126] Dieser wird familienrechtlich durch Unterhaltsansprüche erfüllt. Ein Anspruch auf Unterhalt setzt grundsätzlich

die Bedürftigkeit des Pflegebedürftigen
und die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen

voraus.

Volljährige, die ihren Pflegebedarf aus eigenen Mitteln und Zuflüssen decken können, sind nicht bedürftig. Sie haben keinen Anspruch auf Betreuungsunterhalt, erst recht nicht in der Form von Pflegedienstleistungsunterhalt durch Angehörige. Das Unterhaltsrecht steht dem Abschluss eines solchen Vertrages daher nicht entgegen.

 

Rz. 52

Auch § 1618a BGB steht einer Entgeltabsprache zwischen Eltern und Kindern nicht entgegen. § 1618a BGB regelt, dass Eltern und Kinder sich Beistand und Rücksicht schulden. Aus dieser Norm leitet eine Auffassung deshalb eine Rechtspflicht zur wechselseitigen Unterstützung und Hilfeleistung der Familienmitglieder in allen Lebenslagen ab.[127] Dem ist nicht zu folgen.

Ob sich aus § 1618a BGB überhaupt konkrete Folgerungen und ggf. sogar Ansprüche ableiten lassen, ist nach wie vor umstritten.[128] Die Entstehungsgeschichte des § 1618a BGB zeigt, dass eine Pflicht zur Pflege zusätzlich zum oder anstelle von Pflegebarunterhalt nicht geschuldet wird. § 1618a BGB ist – anders als die Unterhaltspflicht zwischen Eltern und Kindern und anders als die Regelungen in § 1360 S. 2 BGB i.V.m. §§ 1360a Abs. 2 S. 1, 1353 BGB – erst durch das Sorgerechtsgesetz 1979 in Anlehnung an Art. 272 des schweizerischen Gesetzbuches in das BGB eingefügt worden, weil es "einem Gesetzgeber, der von Verfassungs wegen zum besonderen Schutz der Familie verpflichtet ist, nicht schlecht anstünde, diesen Aspekt ausdrücklich anzusprechen".[129] Mit der Verpflichtung zu Beistand und Rücksichtnahme wollte der Gesetzgeber das Leitbild des BGB für das Eltern-Kind-Verhältnis konkretisieren. An den Verstoß gegen die zu "echten" familienrechtlichen Pflichten avancierten "sittlich-moralischen Selbstverständlichkeiten"[130] hat er aber bewusst keine Rechtsfolge geknüpft,[131] so dass ihr Sinn weitgehend nur darin gesehen wird, bei der Anwendung und Auslegung anderer familienrechtlichen Normen und beim Füllen von Lücken für den jeweils individuellen Einzelfall[132] Hilfestellung zu geben. § 1618a BGB ist also keine Grundlage für neue zusätzliche Rechte und Pflichten,[133] sondern dient deren Konkretisierung und ggf. Auslegung.

 

Rz. 53

Die Rechtsprechung hat daher Angehörigenarbeitsverträge...

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